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Wodka und Brot (German Edition)

Wodka und Brot (German Edition)

Titel: Wodka und Brot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mira Magén
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Füßen eines Fünfjährigen gab es auf der Welt nichts, was diesen bitteren und ausgedörrten Alten bewegte.
    Ob er will oder nicht, der Mensch schafft es nicht allein, und wenn er nichts hat, sucht er sich einen Schnürsenkel und bindet sein Herz daran. Klipp und klar, der Mensch schafft es nicht allein, Levi nicht, Madonna nicht, Amos nicht. Amos nicht? Wer hat das gesagt? Ich blieb stehen, auf dem Weg zu den Fahrstühlen, rief ihn an und ließ ihm keine Zeit, sich zu wundern. »Ihr Vater liegt im Krankenhaus.«
    »Na und?«, sagte er mit einer Stimme, die mich niederdrückte, doch diesmal gab ich nicht nach.
    »Was heißt da, na und, er ist Ihr Vater, Ihr Vater, der Mann, der Sie gezeugt hat, er ist im Krankenhaus. Wenn er stirbt, werden Sie sich ewig Vorwürfe machen.«
    »Die Gefahr besteht nicht. Was hat er?«
    »Das Herz.«
    »Ach, er besitzt tatsächlich so ein Organ? Gut zu wissen.«
    Ich schwieg. Die Aufzugtür öffnete sich, und dumpfe Luft schlug mir entgegen, Menschen strömten heraus und machten sich auf den Weg, jeder zu seinem Nahestehenden, jeder zu seinem Schmerz, der Himmel in dem großen Fenster war blass, von einem durchsichtigen weißen Laken bedeckt. Ich hatte keine Lust, zu predigen, zu diskutieren,zu argumentieren, zu streiten. Eine Frau sagte in ihr Handy: »Na und, dann habe ich eben seinen Morgenmantel vergessen, was ist daran so schlimm? Man gibt ihnen hier Morgenmäntel vom Krankenhaus … Die Frikadellen? Natürlich habe ich sie für ihn dabei … Gott behüte, bis man zu ihnen kommt, können sie siebenmal gestorben sein …« Die Tür ging wieder zu, schloss sich hinter den Menschen, die sich hineingedrängt hatten, bis jeder an seinem Ziel war. Der Aufzug schaffte es, seine Last abzuladen und zurückzukehren, bis er die Stille unterbrach und fragte, in welchem Krankenhaus der Alte sei.
    »Unten im Tal, wenn Sie im Dorf eine Aprikose werfen, treffen sie es.«
    »Gut, danke«, sagte er und legte auf. Auch wenn es nicht gut ist, sagt man gut. Wenigstens das. Draußen, unter dem weißen Himmel, fand ich Zeit, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, ich rief Gideon an. »Nein, Amiki, komm nicht, tu mir den Gefallen, ich bin todmüde, du würdest den ganzen Weg zurücklegen und mich schlafend vorfinden …«
    Ich könnte dich wenigstens berühren, das ist doch auch schon was, oder? Dumme Tränen verwischten den Himmel und spannten ein durchsichtiges Laken über das Krankenhausdach. Sehnsucht packte mich, so schmerzhaft wie Geburtswehen, ein Krampf und ein Druck, der bis zum Herzen ausstrahlte. Mein Mann entglitt mir, während ich mich in fremde Lebensgeschichten hineinziehen ließ. Was gingen mich der Alte und sein Sohn und diese ganze durchgeknallte Familie an. Ich bin nicht von der UNO beauftragt, Probleme zu lösen und Frieden über das Land zu bringen. Ich bin eine Frau, die möchte, dass ihr Mann zu ihr zurückkommt, repariert und restauriert, ganz so, wieer war, vor den Fischen und seiner Sinnsuche. Ich werde zu ihm fahren, ich werde nicht auf ihn hören, ich werde Nadav mitnehmen, wir werden uns vor ihn hinstellen und ihn überzeugen. Es steht ja schon fest, dass die Beine eines Kindes Herzen zerreißen können, diese Medizin hat man bei ihm noch nicht ausprobiert.
    »Wir fahren zu Papa«, sagte ich zu dem Jungen.
    »Hast du gehört, Wodka, wir fahren zu meinem Papa«, schrie er und zog seine gute Hose und seine Turnschuhe an, kämmte sich, lief hinter mir her vom Zimmer zum Badezimmer, vom Badezimmer zur Küche, wartete neben der Toilette auf mich, wohin fahren wir, ins Krankenhaus oder zu den Fischen? Dürfen Kinder überhaupt hinein? Sieht man dort Leute mit Blut? Was tun wir, wenn es einen Wolkenbruch gibt, wie gestern?
    Als wir das Krankenhaus betraten, ließ er meine Hand nicht mehr los, er drückte sich an mich, rieb sich an meinem Oberschenkel, als wir durch Flure gingen, wir stießen uns gegenseitig an und brachten uns gegenseitig zum Stolpern. In der anderen Hand hielt er das zusammengefaltete Bild, das er vom Wolkenbruch gemalt hatte. Bevor wir die Abteilung erreichten, nahm er Verbände in sich auf, Seufzer, Rollstühle, Krücken, und als wir von dort weggingen, achtete er auf nichts mehr, sein Herz war übervoll mit seinem Vater, der ihm ein verhaltenes Lächeln geschenkt hatte, der ihm eine magere Hand entgegengestreckt und ihn nur mit zwei Fingern berührt hatte, der gefragt hatte, wie es ihm gehe, und ihn angeschaut hatte, als er antwortete, und der

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