Wölfe und Kojoten
macht kräftig
Druck, um damit an Devisen zu kommen. Sie vergibt sogar an bestimmte
Kooperativen die Fangrechte für Langusten, Abalone und Garnelen. Die Trawler
fahren mit ihren Schleppnetzen große Gebiete ab, holen alles hoch und picken
sich heraus, was sie brauchen. Danach schaufeln sie Tonnen von toten oder
sterbenden Fischen vom Deck zurück ins Meer. Escama nennen sie das,
›Schuppen‹. Dabei wäre das durchaus hochwertige Nahrung für hungrige Menschen.«
Ich sah ihm zu, wie er auf und ab ging,
hörte aber nur halb auf seine Worte. Noch nie hatte ich ihn derart in
Hochspannung erlebt. Das war der Hy der Protestaktionen der Umweltschützer, der
Mann, der Gegnern die Stirn bot und sie verspottete und auch direkten
Konfrontationen mit der Polizei nicht aus dem Wege ging. Nach dem Tod seiner
Frau Julie soll es eine Zeit gegeben haben, in der er sich immer wieder auf
heftige Auseinandersetzungen eingelassen hatte, ohne Rücksicht auf sein Leben
oder seine Sicherheit. Leute, die ihn kennen, sagen, das habe sich in den
letzten Jahren etwas gelegt. Jetzt allerdings schien es, als sei er in diese
leidenschaftliche, vielleicht sogar selbstzerstörerische Haltung
zurückverfallen. War es der Schmerz seiner Schußwunde, der ihn in diese
Hochspannung versetzte?
Nein. Ich vermutete, daß die Ursache
eine psychische Verletzung war, die weit zurücklag in seiner Vergangenheit, als
ich ihn noch nicht kannte. Sie mußte aus einer Zeit vor Julies Tod stammen,
sogar noch bevor er ihr überhaupt begegnet war. Schließlich hatte — wie er mir
einmal erzählte — der Glaube dieser Frau an ihn bewirkt, daß er das wenige, was
von seinem Leben übriggeblieben war, auch noch zerstörte. Vergangene Woche, am
Mittwoch, war er nun wieder Leuten aus diesen neun verlorenen Jahren begegnet.
Das mußte ein Zusammenprall gewesen sein, der Gefühle in ihm freigesetzt hatte,
die in einer Weise an ihm nagten, die ich mir nicht im entferntesten vorstellen
konnte.
Würde er nun endlich das Geheimnis
dieser Jahre lüften? Ich hoffte und bezweifelte es zugleich.
Es klopfte an die Wand neben der
verhängten Türöffnung. Eine schlanke Frau mit großflächigem indianischem
Gesicht trat ein und lächelte scheu. Sie trug einen Korb mit Früchten und
aufgerollten Tortillas, die einen würzigen Geruch verströmten. Wie ein
Fremdkörper lag eine neue Verbandrolle auf einer Melone. In der anderen Hand
hielt sie einen Krug mit wahrscheinlich selbstgekeltertem Wein.
»Das ist Sofia«, sagte Hy. Auf spanisch
bedankte er sich für das Essen. Sie antwortete mit einem Wink, er solle sich
setzen. Als sie sich neben ihn kniete und den alten Verband abwickelte, sagte
er: »Sofia hat mir die Wunde gereinigt, als ich heute früh hier
hereingestolpert bin, und eine Packung aus Blättern und Gott weiß was
aufgelegt. Ein übelriechendes Zeug, aber dem Arm hat es gutgetan. Den ganzen
Tag über hat sie meine Temperatur kontrolliert; sie ist nur einen Hauch höher
als normal.«
Sofia wusch die Wunde mit einer
Flüssigkeit aus einer Plastikflasche aus. Hy preßte die Lippen zusammen und sah
weg. Nach einer Weile fügte er hinzu: »Eines kann ich dir mit Sicherheit sagen,
McCone, körperlich bin ich in Ordnung. Was allerdings nicht in Ordnung ist, ist
die Tatsache, daß ich mich wie ein Arschloch fühle.«
Sofia schien das zu verstehen.
Wahrscheinlich hatte das Wort »Arschloch« dank seiner häufigen Anwendung
inzwischen den Status eines internationalen Losungsworts erhalten. Sie machte
ein besänftigendes Geräusch mit der Zunge und lächelte mir mitfühlend zu. Sie
konnte schließlich gehen, wenn sie fertig war, ich dagegen saß hier mit ihm
fest. Dann verabschiedete sie sich mit einem »Buenas noches« und einer
Handbewegung zum Korb und zum Krug und ging hinaus.
»Warum fühlst du dich wie ein
Arschloch?« fragte ich.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Ich höre.«
»Wollen wir nicht zuerst essen?«
Ich mußte zugeben, daß der Essensduft
meinen Heißhunger geweckt hatte. Wir setzten uns im Schneidersitz einander
gegenüber und wühlten im Korb. Die ausgebackenen Tortillas waren gefüllt mit
einer scharfen Mixtur aus Fisch und verschiedenem Gemüse. Aus der Melone
tropfte der süße. Saft. Im Gegensatz dazu war der Wein herb und sehr, sehr
trocken. Wir aßen mit den Fingern, die wir am Schluß an unseren Jeans
abwischten. Wir tranken gemeinsam aus einer Papptasse. Nachdem wir alles
aufgegessen hatten, schenkte Hy nach, und wir lehnten uns an seine
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