Wölfe und Kojoten
macht nichts. Das hier ist
wichtiger.« Sie brach ab, ihr sommersprossiges Gesicht war angespannt vor
Konzentration. »Vielleicht eine Sommergrippe... Nein, besser irgendeine
Frauengeschichte. Die Frauen haben dafür Verständnis, und die Männer werden
sich scheuen, Fragen zu stellen. Aber laß mich auf jeden Fall wissen, wo ich
dich erreichen kann, und schalte um Himmels willen deinen Anrufbeantworter
ein.«
»Okay.« Dann fielen mir Ralph und Alice
ein. »Darf ich dich auch noch bitten, meine Katzen zu füttern?«
»Sicher doch. Aber laß es Ted nicht
wissen. Schließlich kümmert er sich doch sonst immer um die kleinen Bestien.«
»Eigentlich habe ich sie ihm überhaupt zu verdanken.« Ich warf ihr meinen Reservehausschlüssel zu. »Meine
Rose kannst du dir auf den Tisch stellen.« Dann sah ich auf die Uhr. »Wir
sollten uns jetzt besser mal um die laufende Arbeit kümmern. Du mußt über alles
informiert sein, was inzwischen hereinkommen kann. Wenn alles vorbei ist,
verspreche ich dir eine dicke Belohnung.«
Rae grinste boshaft. »Du brauchst mir
nur den Kopf von Willie Whelan zu bringen.«
Ich hatte meine Reisevorbereitungen
getroffen und wollte gerade mein Büro verlassen, als es klopfte. Gloria Escobar
stand zögernd in der Tür. »Haben Sie eine Minute Zeit?« fragte sie.
Ich sah auf die Uhr. Viertel vor drei.
Schließlich brauchte ich die Viertelstunde, die ich für den Fall eines Staus
auf der Golden-Gate-Brücke oder im Engpaß von San Rafael eingerechnet hatte.
»Eigentlich nicht.«
»Es dauert nicht lange.« Sie kam
herein, schob meine Jacke und meine Tasche vorsichtig zur Seite und setzte sich
auf die Couchkante. Dann strich sie ihren grauen Gabardinerock über den
Schenkeln glatt. Glorias Kleidung war stets sehr dezent, fast schon langweilig.
Einziges modisches Zugeständnis waren leuchtender Lippenstift und Nagellack
sowie ein rauchgrauer Lidschatten. Das einzig Ungezähmte an ihr waren die
schwarzen Locken.
Ich wartete und fragte mich, ob das
hier wohl ein Nachschlag zu ihren kritischen Bemerkungen über mich während der
Gesellschaftersitzung werden sollte.
Sie räusperte sich und wirkte
verkrampfter, als ich sie je erlebt hatte. »Ich möchte mich wegen meiner
gestrigen Bemerkungen entschuldigen. Sie waren ungerechtfertigt.«
»Na ja, meine Reaktion auf die
Beförderung war auch nicht gerade nett. Ihr habt mich ziemlich überrumpelt.«
»Haben Sie darüber nachgedacht?«
»Ein wenig, aber noch nicht genug für
eine Entscheidung.«
Sie zögerte und schien selbst über eine
Entscheidung nachzudenken. Ihr Blick wanderte durch den Raum und blieb an dem
Gummibaum in der Ecke hängen. »Vielleicht erleichtert es Ihnen die
Entscheidung, wenn Sie wissen, warum ich so viel Wert auf Ihre Annahme lege.
Dazu muß ich Ihnen etwas über meine Herkunft erzählen.« Ihre Ausdrucksweise
ließ mich aufmerken. Noch nie hatte ich das Wort ›Herkunft‹ aus Glorias Mund
gehört, aus Mike Tobias’ dafür um so häufiger. Das erweckte bei mir den
Eindruck, als hätten die beiden gemeinsam eine Art Werbeslogan aufgesetzt.
»Sharon«, sagte sie. »Hören Sie mich
bitte an.«
»In Ordnung.« In Gedanken zog ich
bereits die fünfzehn Minuten Reserve für die Fahrt nach Novato ab.
»Meine Mutter stammt aus Tijuana«,
begann sie. »Sie war sehr arm. Als meine Schwester vier und meine Mutter mit
mir schwanger war, machte sich mein Vater aus dem Staub. Sie beschloß, nach
Norden über die Grenze zu gehen. Es gab da eine Tante, die mit einem Amerikaner
mexikanischer Abstammung verheiratet war und die ihr helfen würde. Eines Nachts
nahm sie meine Schwester an der Eland und wartete auf einem der Hügel oberhalb
der Cañons. Als es soweit war, ging sie zusammen mit den anderen, die sich dort
eingefunden hatten, über die Grenze.«
Ich kannte den Hügel — genauer gesagt,
einen Teil des Geländes. In meiner Kindheit hatten Freunde meiner Eltern in
Sichtweite der Grenze eine kleine Ranch gehabt, an der Monument Road in einem
Außenbezirk des San Diego County. Bei unseren Besuchen dort sah ich die Leute
geduldig auf den Hügeln warten. Bei Tag herrschte eine festliche Stimmung: Man
picknickte und grillte, und die Kinder spielten. Doch bei Einbruch der
Dämmerung kehrte eine seltsame Stille ein. Selbst in den heißesten Nächten
zogen sie nun eine Schicht Kleider über die andere an — was sie nur tragen
konnten. In der zunehmenden Dunkelheit verschwammen ihre Umrisse, und sie
warteten auf den Augenblick, in
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