Wölfe und Kojoten
sich Streß und die Unsicherheit über die
Reorganisation nun auch auf ihn aus.
Etwa eine halbe Stunde lang war ich mit
der Post beschäftigt und diktierte ein paar Berichte. Dann rief ich Barry
Ashford, Hys Buchhalter, an. Hy hatte mit ihm vereinbart, daß Barry sich bei
längerer Abwesenheit um seine Rechnungen kümmert. »Das geht noch auf die Zeit
unmittelbar nach Julies Tod zurück, als er wegen irgendwelcher Dummheiten bei
Umwelt-Protestaktionen immer wieder einmal eingesperrt wurde«, sagte er. »Ich
hätte das Kate sagen sollen. Offenbar hält sie die Geschichte für ernster, als
sie tatsächlich ist.«
»Hat Hy gesagt, wie lange er
fortbleibt?«
»Nein, aber er meinte, er wäre
wahrscheinlich zurück, bevor irgendeine Rechnung fällig werde. Falls nicht,
wollte er mir Bescheid sagen.«
Das klang, als habe er sich alle
Optionen offenhalten wollen. Liefen die Dinge in La Jolla gut, würde er länger
bleiben, anderenfalls würde er einfach wieder heimkommen. »Hat Hy erwähnt,
warum er weg mußte?«
»Hy! Machen Sie Witze?«
Ich bedankte mich bei Ashford, legte
auf und war froh, daß ich nicht schon gestern mit ihm gesprochen hatte. Die
gleichmütige Reaktion des Buchhalters auf Hys kommentarloses Verschwinden hätte
mich vielleicht in falscher Sicherheit gewiegt und von einer weiteren Suche
nach ihm abgehalten.
Als nächstes rief ich Kate Malloy an.
Sie war zur Ranch hinausgefahren und hatte mit den Rancharbeitern gesprochen.
»Viel ist dabei nicht herausgekommen. Hy hatte ihnen den Lohn für zwei Monate
ausgezahlt, weil einer der Arbeiter einen Vorschuß brauchte; seine Frau
erwartet ein Baby. Der Einfachheit halber zahlte Hy gleich beiden denselben
Betrag aus.«
»Was ist mit American Express? Konnten
Sie da etwas herausbekommen?«
»Ja. Nachdem er in Oakland den Wagen
gemietet hatte, hat er die Karte noch zweimal benutzt: am Samstag abend für ein
USAir-Ticket nach San Diego und für ein Zimmer im Bali Kai Motor Inn dort. Seit
Sonntag gab es keine weiteren Abbuchungen, aber es könnten auch später noch
welche eintreffen.«
Das paßte genau zu der Geschichte, die
Renshaw mir erzählt hatte. »Danke, Kate«, sagte ich. »Ich habe eine Spur von Hy
gefunden und fliege heute abend nach San Diego. Ich melde mich, sobald ich
etwas Neues weiß.« Ich legte auf, bevor sie nach weiteren Einzelheiten fragen
konnte.
Ich schwenkte herum, ließ mich tiefer
in den Sessel sinken und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster. Die
Tatsachen bestätigten Renshaws Story und zugleich auch das, was mir instinktiv
bewußt war. Wenn Hy bereits bei seinem Abflug vom Tufa Lake mit Timothy
Mournings Kidnappern gemeinsame Sache gemacht hätte, hätte er auch Vorsorge für
eine längere Abwesenheit getroffen oder vielleicht sogar seine Konten gelöscht.
Aber Hy hatte sich ganz plötzlich zur Abreise entschlossen, und ich selbst
hatte diese in gewisser Weise noch beschleunigt durch meinen Anruf, mit dem ich
unseren Ausflug in die Great White Mountains vorverlegte.
Und wenn er später, wie Renshaw
behauptete, zu den Kidnappern übergelaufen war? Ich besaß keinerlei Beweise für
das Gegenteil außer meiner Überzeugung, daß er einer derartigen Tat einfach
nicht fähig war. Für mich war das Beweis genug.
Ich dachte noch eine Weile nach, bevor
ich Rae über die Sprechanlage anrief und sie bat, zu mir heraufzukommen. Sie
wirkte kaum heiterer als Ted, und mit ihrem Äußeren ging es weiter rapide
bergab. Das Haar stand ihr in fettigen Löckchen vom Kopf ab, den Pullover
zierten Löcher, und die Jeans hatten abgewetzte Knie. Sie sah meinen Blick und
schob trotzig das Kinn vor, als wollte sie sagen: »Willst du eine Affäre daraus
machen?«
»Setz dich«, sagte ich. »Ich muß dich
um einen Gefallen bitten.«
»Ich habe von deiner Beförderung
gehört.« Sie warf einen Blick auf meine Couch und kam offenbar zu dem Schluß,
daß das Wegräumen von Jacke, Aktentasche, Handtasche, Kamera, Aktenstapeln und
der Tüte mit süßen ›Hershey’s Kisses‹ zuviel des Aufwands war. Also ließ sie
sich davor auf dem Fußboden nieder und fügte hinzu: »Gratuliere.«
»Danke — ich muß noch darüber
nachdenken.«
»Deine Rose ist gekommen. Da du dich
nicht um sie kümmern konntest, habe ich sie im Badezimmer in ein Wasserglas
gestellt. Die kleine Vase war so schmutzig, daß ich sie zum Einweichen erst mal
ins Spülbecken gelegt habe.« Sie sah mich an, als hätte sie mich gerade noch
vor der Vernachlässigung eines hilflosen Kindes
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