Wölfe und Kojoten
war genau das, was ich suchte.«
Mit entschlossen zusammengepreßten
Lippen sah sie mir jetzt geradewegs in die Augen. »Teresa ist jetzt zehn. Sie hat
Spitzenzensuren. Sie ist schön. Niemand wird sich meiner Tochter aus
engstirnigen Vorurteilen heraus in den Weg stellen. Niemand wird sie die
Demütigungen spüren lassen, die ich meine gesamte Kindheit hindurch bis in die
ersten Jahre meines Erwachsenseins hinein erdulden mußte.«
Ich wartete darauf, daß sie fortfuhr.
Doch sie schwieg, und so sagte ich: »Das ist also Ihre Geschichte.«
»Ja.« Sie hielt inne und sah mich an.
Tief in ihrem Blick zeigte sich jetzt Zorn. »Sharon, ich habe auf eine Menge
verzichtet, um mich für Menschen einzusetzen, deren Rechte in Gefahr sind.
Abgesehen von Teresa habe ich kaum ein Privatleben. Mein Leben ist Arbeit,
achtzehn Stunden am Tag. Die restlichen sechs träume ich davon. Aus diesem
Grund war ich gestern so streng mit Ihnen — und weil ich meine, Sie sollten
diese Beförderung annehmen. Gerade jetzt befindet sich All Souls in einer
kritischen Übergangsphase. Wir müssen jetzt Opfer bringen, unsere eigenen
Belange hintanstellen und diese Kooperative zu einer wirklich lebensfähigen
Institution machen. Sie haben von All Souls profitiert. Warum können Sie sich
nicht dafür revanchieren.«
Ich stand abrupt auf, drehte ihr den
Rücken zu und starrte aus dem Fenster. Ich sammelte meine Gedanken und
versuchte, sie zu einem logischen Gebäude zusammenzufügen, das sie, ein
Verstandesmensch, begreifen konnte.
»Ein großer Teil von dem, was Sie
sagen, leuchtet mir ein«, sagte ich schließlich zu ihr. »Und Sie arbeiten für
die Freiheit der Menschen, sich Träume erfüllen zu können. Verstehe ich das
richtig?«
»Ja.«
»Das ist gut. Das sollten wir
eigentlich alle tun, nicht wahr? Und leben Sie in Wirklichkeit nicht auch Ihren
Traum, obwohl Sie Ihr Privatleben aufgeben?«
»Natürlich.«
»Das freut mich für Sie. Aber was ist
mit meinem Traum?«
»Ihrem Traum?« Das klang überrascht, so
als sei ihr noch nie in den Sinn gekommen, daß Leute wie ich — mehr oder
weniger Durchschnittsamerikaner, die sich im allgemeinen nicht mehr besonders
abmühen mußten — vielleicht auch Träume haben könnten.
»Ja, Gloria, ich habe auch einen Traum.
Und im Endeffekt bitten Sie mich, meinen Traum für den Ihren aufzugeben.«
»Nein, nein.« Sie streckte mir die
Hände beschwichtigend entgegen. »Ich hatte wohl angenommen, daß Ihr Traum der
gleiche ist wie meiner, weil Sie hier arbeiten.«
»Möglicherweise trifft das auch zu,
zumindest auf einer abstrakten Ebene.« Ich beruhigte mich und setzte mich
wieder. »Sie waren ehrlich zu mir«, sagte ich, obwohl ich mir der Reinheit
ihrer Motive nicht ganz sicher war. »Also revanchiere ich mich und erzähle
Ihnen etwas, das ich nicht vielen Leuten erzähle, da ich, offen gesagt, immer
ein komisches Gefühl bekomme, wenn ich es in Worte fassen muß. Nach meinem
College-Abschluß hatte ich eine Menge Zeit. Ich fand nämlich außer als
Nachtwächter in Bürogebäuden einfach keinen Job. Dadurch wurde ich
krimisüchtig. Einen oder zwei pro Schicht habe ich davon verschlungen, und die
restliche Zeit habe ich dann noch verträumt. Im Traum zog ich hinaus in die
Nacht. Ich fühlte mich stark und furchtlos in meinem Auftrag, Unrecht
richtigzustellen. Genau wie Sie wollte ich Recht schaffen.
Wir haben beide das Glück, diese Träume
Wirklichkeit werden lassen zu können. Sie machen Unrecht zu Recht mit Hilfe
unseres Rechtssystems. Ich tue es, indem ich der Wahrheit auf den Grund gehe
und versuche zu retten, was zu retten ist. Vielleicht ist meine Methode nicht
so wirkungsvoll wie Ihre, aber so nutze ich meine Fähigkeiten am besten, viel
besser als mit der Koordination von Fällen und der Beaufsichtigung von
Anwaltsgehilfen. Ich bin eine verdammt gute Ermittlerin. Sie können jeden
fragen, der schon ein Weilchen hier ist, und jeder wird Ihnen sagen, daß ich
dieser Kooperative schon mehr als einmal aus der Klemme geholfen habe. Also
kommen Sie mir bitte nicht und sagen, ich solle All Souls zurückgeben, was ich
von der Kooperative bekommen habe. Das habe ich schon mehr als genug getan.«
Gloria schwieg und starrte erneut den
Gummibaum an. Nach einer Weile sagte sie: »Sie haben auf alles eine Antwort,
oder? Und Sie haben es stets leichtgehabt. Sie können das alles wahrscheinlich
gar nicht verstehen.«
»Woher wollen Sie wissen, daß ich es
stets leichtgehabt habe? Sie wissen
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