Wölfe und Kojoten
Lady will dich etwas fragen.«
Emma stellte das Tablett ab, das sie
gerade belud, wischte sich die Hände an der Schürze ab und kam zu uns herüber.
Sie war längst im Rentenalter, sehr dünn, und ging, als ob ihr die Gelenke
schmerzten. Griffith stand auf und bot ihr seinen Platz an. »Setz dich einen
Moment. Ich muß weg.« Für mich fügte er hinzu: »Wenn Sie noch etwas brauchen,
der junge Mann am Empfang weiß, wo ich zu finden bin.«
Emma stieß einen tiefen Seufzer aus,
als sie sich auf die Bank fallen ließ. »Was wollen Sie denn von mir wissen,
Honey?«
Ich gab ihr Hys Foto, das inzwischen
voller Fingerabdrücke war. »Haben Sie diesen Mann am Sonntag nachmittag hier
gesehen?«
Mit zusammengekniffenen Augen sah sie
das Foto an und nickte dann. »War einer meiner ersten Gäste. Ruhig. Gab ein
gutes Trinkgeld.«
»Hat er etwas gesagt oder gefragt?«
»Als ich ihm die Rechnung brachte,
wollte er wissen, wie lange er wohl bis Imperial Beach brauche. Ich wohne da
und konnte es ihm praktisch auf die Minute genau sagen. Dann fragte er mich
nach dem Holiday Market dort. Der liegt direkt an der Hauptstraße — der Palm
Avenue. Ich habe mich gefragt, was er wohl an solch einem Platz zu suchen
hatte.«
»Was ist das für ein Platz?«
»Ein Mexikaner-Treff. Rund um die Uhr
geöffnet. Mindestens ein Dutzend von denen hängt da ständig auf dem Parkplatz
herum.« Sie warf einen Blick in Richtung Küche und runzelte ängstlich die
Stirn. »Honey, ich muß weiter die Tische da abräumen. Der Boss schaut schon
herüber.«
»Danke, daß Sie sich die Zeit genommen
haben, Emma.« Ich zog einen Schein aus meiner Börse und reichte ihn ihr über
den Tisch. »Danke Ihnen.«
Ich ging zur Lobby zurück und
überlegte, wie die Angaben von Emma und Griffith in das Bild paßten, das ich
mir über Hys Aktivitäten vom Sonntag gemacht hatte. Gegen halb fünf hatte er
sich nach dem Holiday Market in Imperial Beach erkundigt, einem Stadtteil an
der South Bay zwischen der Innenstadt von San Diego und der Grenze. Um Viertel
vor fünf war er vom Parkplatz abgefahren, wahrscheinlich dorthin. Aber um neun
war er wieder in seinem Zimmer zurück, um Alicia telefonisch mitzuteilen, daß
die Übergabe um elf Uhr stattfinde. Aus welchem Grund war er nach Imperial
Beach gefahren? War es eine von den Kidnappern vorgegebene Zwischenstation?
Gehörte das zu den »üblichen Mätzchen«, von denen Renshaw geredet hatte? Sehr
gut möglich. Aber warum bestellten sie ihn ausgerechnet zu einem Lokal, wo er
auffallen mußte? Wollten sich die Kidnapper vergewissern, mit wem sie es zu tun
hatten, oder sollte ihn jemand identifizieren?
Auf dem Weg durch die Lobby zur
Cocktail Lounge stellte ich fest, daß der Mann im Westernlook inzwischen der
einzige Gast war. Er hatte seinen Sessel ein wenig herumgerückt, um den Eingang
zum Coffee-Shop gut im Auge behalten zu können. Im Vorbeigehen sah ich ihm
direkt ins Gesicht. Er schien mich zwar zu bemerken, sah aber nicht von seiner
Zeitung auf.
Das ließ mich vermuten, daß er zu einem
Team gehörte, das mich überwachen sollte. Nach dem Lageplan des Motels hatten
sowohl der Coffee-Shop als auch die Bar einen Zugang vom Parkplatz. Wenn
Renshaws Leute ihre Hausaufgaben gemacht hatten — und dessen war ich sicher —,
dann war draußen ebenfalls jemand.
Es sollte also schwieriger werden, hier
herauszukommen, als ich vermutet hatte. Aber ich kannte mich schließlich aus...
In der Bar herrschte eine tropische
Luftfeuchtigkeit — wahrscheinlich funktionierte die Klimaanlage nicht
ordentlich. Ein Wasserfall, der über einen Lavastein in einen Teich mit zwei
aufgedunsenen Koi-Fischen stürzte, verstärkte den Dunst noch. Der
Innenarchitekt oder die Innenarchitektin hatte mit Fischernetzen und Muscheln,
künstlichen Bambussträuchern, exotisch bunten Plastikblumen, Rattansesseln und
— tischen wahrlich nicht gegeizt. Von der Decke hing die Nachbildung eines
Auslegerkanus im blauen und grünen Blinklicht. Weitere Südseegötter trugen das
Strohdach über der Bar. Grellbunte ananasförmige Riesenaschenbecher zierten die
Tische. Es fehlte nur noch eine Truppe barbusiger Hula-Tänzerinnen, die sich
ihren Weg von der Toilette zur Bar bahnte. Ich setzte mich auf einen Hocker und
bestellte beim Barkeeper im Hawaiihemd ein Glas Weißwein. Seine Schultern
brachen fast zusammen unter der Last eines enormen Blütenkranzes aus Plastik.
Er kam mit dem Wein und stellte ihn vor
mir ab. Gleichzeitig musterte er mit
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