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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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zählte Timothy Mourning zu
einer kleinen Hundertschaft von begabten jungen Unternehmern, die neue Wege gegangen
seien. Im ›Wall Street Journal‹ fand sich ein Porträt von Diane Mourning.
›People‹ brachte ein gemeinsames Interview mit beiden. Es war mit einem
Farbfoto illustriert, das Gage und Diane vor dem Hintergrund des üblichen
Stadtpanoramas auf dem Balkon ihrer Wohnung am Russian Hill zeigte. Dort hatten
sie bis vor vierzehn Monaten gewohnt. Dianes schwarzer Kaftan entsprach der
Strenge ihres Gesichtsausdrucks. Auf dem dunklen Tuch schimmerte eine kunstvoll
gearbeitete Halskette aus gehämmertem Silber mit Türkisen. Tim trug Jeans und
Sweatshirt. Sein Grinsen erinnerte an das eines Schuljungen, der für ein
Lokalblättchen fotografiert wird, weil er den größten Kürbis der
Landwirtschaftsausstellung gezüchtet hat. Wieder wunderte ich mich über die
Ungleichheit dieses Paares.
    Die Stewardeß kam vorbei und sammelte
Tassen und Gläser ein. Direkt über San Diego setzte die Maschine zum steilen
Sinkflug zum Lindbergh Field an. Ich beugte mich vor und sah an meinen
Sitznachbarn vorbei zum Fenster, auf die Lichter meiner Heimatstadt.
    Heimat? Nein — frühere Heimat. Viele,
viele Jahre war es her, daß ich hier gelebt hatte. Die Landschaft hatte sich
verändert: Hochhäuser, die Coronado Bridge und Wohnsiedlungen, die sich nach Nordosten
bis Escondido ausgedehnt hatten. Die nördlichen Bezirke hießen jetzt »North
City«, und die South Bay besaß inzwischen mehr Ähnlichkeit mit Tijuana als mit
dem ursprünglichen San Diego. Ich hatte gehört, daß auch die Atmosphäre der
Stadt sich verändert habe — durch zu schnelles Wachstum, eine hohe Kriminalitätsrate,
zu viele Immigranten aus Mexiko. Rassenvorurteile manifestierten sich offen
oder verdeckt in Worten und Taten vieler Bürger. Im Norden verbarrikadierten
sich die Leute vor den Latinos hinter Türen und Sicherheitstoren. Im Süden
kämpften die Menschen ums Überleben, bedroht von Kriminalität, Überbevölkerung
und wachsenden Drogenproblemen.
    Dennoch war die Stadt für fast zwanzig
Jahre meines Lebens meine Heimat gewesen. An ihren Wahrzeichen würde ich mich
orientieren können. Und so fremd und gefährlich mir die Umgebung gerade an
diesem Abend auch scheinen mochte, ich wußte, ich würde vertrauten und sicheren
Boden erreichen.
    Im Märchen war ein Dornbusch Wiege und
Kinderstube des kleinen ›Brer Rabbit‹. Wurde er bedroht, verkroch er sich
darunter. Auch ich würde heute abend noch meinen Dornbusch finden.
     
     
     
     
     

9
    Beim Anblick des Bali Kai fiel mir
sofort wieder ein, daß hier mein High-School-Ball stattgefunden hatte.
Pseudopolynesisch war damals der letzte Schrei gewesen. Für die von uns, die
sich zur tonangebenden Clique in der High-School zählten, war es das
allerselbstverständlichste, dort für eine inoffizielle Party nach dem Ball
gleich eine ganze Zimmerflucht mit Beschlag zu belegen. Die Eltern erhoben ihre
Einwände, wurden umschmeichelt und gaben schließlich nach. Smokings und dicke
Limousinen kamen vom Verleih, Abendkleider und Ansteckbuketts mußten gekauft
werden. Die tatsächlichen Ereignisse der frühen Morgenstunden nach dem Ball
waren im großen und ganzen eher unschuldig. Drei Mädchen waren betrunken und
mußten sich übergeben, und zwei Paare hatten zum erstenmal Sex miteinander.
Doch die meisten von uns tranken nur wenig, knutschten ausgiebig, schlangen
warm gewordene Vorspeisen in exotischem Südseelook hinunter, warteten mit
unterdrücktem Gähnen auf das Ende dieser so gloriosen langen Nacht.
    Die seitdem vergangenen Jahre hatten
ihre Spuren am Bah Kai hinterlassen. Die Götterfiguren, die den Eingang zur
Lobby bewachten, hatten Sprünge und waren verwittert. Die Pseudohütten aus
Bambus und Stroh wirkten nur lächerlich. Sogar an den Palmen auf beiden Seiten
der Rezeption schien der Zahn der Zeit genagt zu haben.
    Das Fax von dem Akkreditiv war
eingegangen. Am oberen Rand stand eingekreist eine vierstellige Zahl,
wahrscheinlich mein Sicherheitscode für Notfälle. Ich steckte das Fax in meine
Handtasche und zeigte dem Angestellten an der Rezeption meinen Ausweis. Dann
fragte ich, ob der Nachtportier oder der Sicherheitsbeauftragte zu sprechen
seien. Beide hatten gerade Pause, sollten aber in einer halben Stunde zurück
sein. Ich sagte, ich würde später wiederkommen.
    An der Rezeption hatte ich eine
Lageskizze der Motel-Anlage bekommen. Mit der Skizze in der Hand ging ich zu
meinem

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