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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Diego Freeway Nord
ein und nahm dann die Ausfahrt 94 West nach Lemon Grove.
     
    Der Besuch bei John in Lemon Grove
glich einer Reise in die Vergangenheit. Bucklige Straßen ohne Gehsteige mit
Grundstücken aller Größen und Formen und einer Vielfalt kleiner Häuschen. Hier
werden Hühner, Ziegen, Enten und Pferde gehalten. Rudel verwilderter Hunde
durchstreunen die Gegend. Die Mischung der ethnischen Abstammung der Bewohner
ist ebenso bunt wie die der Stilrichtungen ihrer Häuser. Doch soweit ich weiß,
leben sie relativ freundschaftlich nebeneinander. Selbst die »Auto-Sammlungen«
— wie mein Bruder sie nennt — auf manchem Anwesen sind von Weinranken und
Wildblumen überwuchert.
    Johns Haus steht auf einem Hügel. Ein
paar Blocks weiter beginnt San Diegos Encanto-Distrikt. Der Weg zu ihm hinauf
ist ungepflastert und ausgefahren. Er schlängelt sich durch hohe Yuccapalmen,
die üppig auf dem Hang gedeihen. Das kleine verputzte Haus mit seinem roten
Ziegeldach ist erst vor kurzem frisch zitronengelb gestrichen worden. Die Bank
unter dem Maulbeerbaum stammt von einer Bushaltestelle in der City und war bei
einem der letzten Raubzüge von John und Joey »mitgegangen«. Auf der Bank lagen
zwei Bierdosen. Ich stellte mir lächelnd vor, wie mein Bruder hier gemütlich
sitzt und den Blick über seine Latifundien schweifen läßt.
    Den Scout stellte ich neben einem
nagelneuen Mr. Paint-Laster ab und stieg aus. Hinter dem Haus und neben zwei
überdimensionalen Garagen standen eine Menge Farbeimer aus Kunststoff, die
offenbar gerade ausgewaschen und zum Trocknen gestellt worden waren. Die Sonne
brach durch die Wolken. Ich ging auf das Haus zu, aus dem Musik drang — Rock
aus den Sechzigern, die einzige Musik, die John je hörte. Also war er da und
für einen frühen Besuch wahrscheinlich in der richtigen Stimmung.
    Ich wollte gerade klopfen, als die
Musik abbrach und aus einem Lautsprecher irgendwo hinter mir in den Bäumen
Johns Stimme ertönte: »Sharon McCone, war hat dir erlaubt, meinen Scout zu
klauen?« Dann flog das Fliegengitter auf, und mich umfingen die Arme eines
Bären.
    Als er mich endlich losließ und ich
wieder zu Atem gekommen war, trat ich einen Schritt zurück und betrachtete ihn
von oben bis unten. Äußerlich sind John und ich völlig verschieden. Er ist
blond, und seine Züge verraten die irische Seite unserer Familie, ich dagegen
trage das Erbe unserer Urgroßmutter Mary McCone in mir, einer Schoschonin, die
mit meinem Urgroßvater Robert damals westwärts gezogen war. Doch John und ich
hatten uns von allen Geschwistern schon immer am nächsten gestanden, und darum
freute es mich, ihn so gesund und — gemessen an seiner Lederjacke, dem
Cowboyhemd und den neuen, blankgeputzten Cowboystiefeln — wohlhabend
anzutreffen.
    »Flotte Klamotten«, sagte ich. »Was
soll das mit dem Lautsprecher?«
    »Weiter unten sind ein paar Raufbolde
eingezogen. Wenn sie zu laut werden, drehe ich das Ding auf und schicke ihnen
ein paar biblische Ermahnungen hinunter. Schlagartig haben sie die Hosen voll
beim Gedanken, daß der hebe Gott sie so genau im Auge hat.« Er hielt das
Fliegengitter auf, und ich duckte mich lächelnd unter seinem Arm hindurch.
    Ich hatte das kleine Wohnzimmer gar
nicht als klaustrophobiefördernd in Erinnerung gehabt, aber heute kam es mir
genauso vor. Johns Büro nahm die gesamte linke Wand ein, während die
gegenüberliegende Wand über die ganze Länge von seiner Audioanlage in Anspruch
genommen wurde. Die Couch war gefährlich nah an den Kamin gerückt, der mit der
Glastür zum Patio einen rechten Winkel bildete. Den restlichen Fußboden
belegten Stapel von Pappkartons. John hatte das Haus zwar erst kurz vor
Weihnachten gekauft, doch das übliche Umzugschaos schien mir hier übertrieben
lange zu dauern.
    »Was ist denn das alles?« Ich stieß mit
der Fußspitze gegen den nächstliegenden Karton.
    John sah hinein. »Mas Geschirr. Du
weißt, das mit dem scheußlichen Apfelmuster.«
    »Und was macht das hier? Ich dachte,
das hätte sie euch zur Hochzeit geschenkt, und Karen hätte es behalten.«
    Er versuchte, an mir vorbeizukommen,
konnte aber nirgends seinen Fuß hinsetzen. Also hob er mich einfach hoch und
setzte mich auf einen Hocker an der Frühstücksbar. »Hat sie auch. Das alles
hier ist Karens Zeug. Ich habe es für sie nur zwischengelagert.«
    »Warum?«
    »Sie heiratet wieder und geht mit dem
Kerl, der gerade ein Jahr Studienurlaub hat, nach Italien. Irgend so ein
Professor an der

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