Wölfe und Kojoten
von innen gesehen haben wie Hy — in den letzten Jahren
eine erstaunliche Metamorphose durchgemacht hatte, und zwar zu einem angesehenen
Geschäftsinhaber und alleinerziehenden Teilzeit-Vater. Dennoch konnte ich ihn
mir in diesem neuen Gewand nicht richtig vorstellen. Für mich war er der
Unbelehrbare geblieben, dessen gottlose Laufbahn mit einem Rausschmiß aus der
katholischen Schule im zarten Alter von neun Jahren begonnen hatte und ihren
Kulminationspunkt erreichte, als seine Frau ihm verkündete, sie würde ihn
verlassen. An jenem Abend sprengte er den (leeren) Wagen seiner Frau in die
Luft. Vielleicht mußte ich das Bild, das ich bisher von ihm gehabt hatte, jetzt
revidieren.
Als ich wieder im Haus war, zeigte die
Küchenuhr zehn nach drei. Das war nicht möglich! Ich sah auf meine Armbanduhr.
Es war doch möglich, aber ich war überhaupt nicht müde. Außerdem hatte ich noch
etwas zu erledigen.
Solange ich denken konnte, hatte Pa
seinen .45er Smith & Wesson-Revolver in einer verschließbaren Kassette
unter einem Handtuchstapel im obersten Fach des Wäscheschranks verwahrt. Ich
zog sie heraus. Es war nicht schwierig, den Schlüssel zur Kassette zu finden.
Wenn Pa glaubte, er habe ihn raffiniert versteckt, hatte er nicht damit
gerechnet, daß in seiner Familie eine hoffnungsvolle Detektivin heranreifte.
Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr wußte ich, daß er unter seiner
Nachttischschublade klebte. Ich holte ihn, nahm die Waffe heraus und prüfte
ihren Zustand. In einem dritten Versteck, nämlich unter dem Spülbecken in der
Küche fand ich die Munition. Ich lud den Revolver und legte ihn in meine
Tasche.
Ich war jetzt wacher als je zuvor. Also
ging ich in die Küche, fand eine Flasche Wein im Kühlschrank und streifte, das
Glas in der Hand, durch das ganze Haus. Unterwegs überprüfte ich Türen und
Fenster. Staub im Eßzimmer. Keine Möbel im Wohnzimmer — auch sie waren mit Ma
nach Rancho Bernardo gewandert. Die Schlafzimmer wiesen so wenige Spuren ihrer
früheren Bewohner auf, daß es sich genausogut um Motelzimmer gehandelt haben
könnte. Selbst Pas Zimmer machte da keine Ausnahme. Meines machte mich
besonders traurig, wenn auch die Dinge, an denen ich von Kindheit an gehangen
hatte, mit mir gezogen waren und jetzt in meiner Garage in San Francisco
lagerten. Ich war so traurig, daß mir klar wurde: Hier konnte ich nicht
schlafen. Ich zog Steppdecke und Kissen vom Bett, schloß die Tür und trug die
Sachen zur Couch im Wohnzimmer.
Das Zimmer war viel zu ordentlich. Kein
Spielzeug auf dem Boden, keine verstreuten Bücher und Zeitschriften und der
Fernseher weit hinten in eine Ecke geschoben. Ich öffnete die Schiebetür, um
etwas von der angestauten Hitze entweichen zu lassen, und ging mit meinem Wein
hinaus zu dem einzigen Sessel im Patio.
War das Haus schon im Dezember so
leblos gewesen, oder lag es nur an Pas Abwesenheit, fragte ich mich. Ich dachte
an Weihnachten, als wir uns hier getroffen hatten: John, seine Söhne, Charlene,
Ricky und die kleinen Savages, die ihrem Namen mit ihrer Wildheit alle Ehre
machten. Wir hatten gemeinsam ein Dinner für Pa zubereitet, und es war ein
fröhliches, sogar festliches Essen geworden. Doch im Rückblick wurde mir klar,
daß sich alle — auch Pa selbst — sehr bemüht hatten, eine unterschwellige
Traurigkeit nicht hochkommen zu lassen. Es war eine ganz andere Stimmung als am
Heiligabend bei Mas Buffet. Mit großer Erleichterung hatte ich da meine letzten
Vorbehalte gegenüber ihrer Beziehung zu Melvin Hunt aufgeben können.
Ich ließ mich tiefer in den Sessel
sinken, war aber noch immer nicht müde. Der Wind fuhr leise durch die Kronen
der Eukalyptusbäume im Cañon, die sich vor einem leicht bewölkten Himmel
abzeichneten. Hinter dem Zaun raschelte etwas im Gebüsch, und in der Ferne
heulte ein Kojote. Am Tag war der Cañon wunderbar und verheißungsvoll.
Eukalyptus- und Pfefferbäume schimmerten silbrig im Sonnenlicht, das die Farben
der wilden Bleiwurz und der Bougainvilleen zwischen Yucca, Feigenkaktus und
anderen Kakteen leuchten ließ. Als Kinder hatten wir gern dort unten gespielt.
Pa hatte uns Steinstufen in den steilen Hang verlegt. In einer kräftigen Eiche
hielten sich noch die Reste der Baumhütte, die wir uns dort gebaut hatten. Doch
nachts hatte ich den Cañon nie gemocht, vor allem, nachdem unsere schwarze
Lieblingskatze darin verschwunden war. Nach Sonnenuntergang wurde er fremd und
wild, und es gab dort unten nur noch Jäger und
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