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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Staatsuniversität. Sie hat ihr Haus verkauft und er sein
Apartment, und wenn sie zurück sind, kaufen sie sich etwas Neues. In der
Zwischenzeit habe ich das Zeug hier am Hals.« John trat hinter die Bar und
hielt mit fragend hochgezogener Braue die Kaffeekanne in die Luft.
    Ich nickte. »Wie kommst du damit
zurecht?« fragte ich und merkte, daß ich mich lächerlicherweise anhörte wie
eine Therapeutin.
    »Daß hier alles vollgestopft ist, geht
mir entsetzlich auf den Geist. Daß sie wieder heiratet, finde ich großartig.«
Er goß eine Tasse ein und stellte sie mir hin. »Ich brauche keinen Unterhalt
mehr zu zahlen und habe die Jungen das ganze Jahr über, während sie fort ist.
Außerdem ist er ein netter Kerl. Die Kinder mögen ihn, und Karen ist so
glücklich, daß sie regelrecht ein menschliches Wesen geworden ist.«
    »Du mußt einen weiten Weg zurückgelegt
haben seit damals, als du sie nur noch ›dieses Miststück‹ nennen konntest.« Ich
prostete ihm mit dem Kaffeebecher zu.
    »Ja, scheint so.« Er sah weg und
richtete den Blick nach innen, schaute aber gerade rechtzeitig wieder auf, um
zu merken, daß ich den starken Kaffee kaum hinunterbekam. »Shar, du siehst
nicht besonders gut aus. Und was treibst du hier eigentlich morgens um halb
acht?«
    Ich stellte den Becher ab und schob ihn
beiseite. »Ich sehe nicht gut aus, weil ich seit achtundvierzig Stunden nicht
geschlafen habe. Und der Grund meines Hierseins ist eine lange Geschichte.«
    Er wartete. Als ich schwieg, fragte er:
»Willst du mit mir darüber sprechen?«
    »Ja, und ich möchte dich um einen
Gefallen bitten. Aber mußt du nicht bald zur Arbeit?«
    »Ich bin bei der Arbeit.« Er
spreizte sich mit gespielter Würde. »Du hast einen Vertreter der
White-Collar-Klasse vor dir. Die Aufsicht vor Ort habe ich meinen Vorarbeitern
übertragen. Ich bleibe jetzt zu Hause und kümmere mich um das Geschäftliche.«
    »Aber ich dachte, die Arbeit an Ort und
Stelle macht dir Spaß?«
    »Das stimmt auch, und wahrscheinlich
werde ich das auch weitermachen, wenn Karen aus Italien zurück ist und wir uns
die Versorgung der Kinder wieder teilen. Aber in zwei Wochen bin ich erst
einmal Full-time-Vater. Da will ich für die Jungen zu Hause sein.« Mein großer
Bruder hatte sich tatsächlich komplett verändert. Wäre da nicht die allgemeine
Unordnung im Haus und der Lautsprecher im Baum gewesen, hätte ich geschworen,
ein fremdes Wesen hätte von seinem Körper Besitz ergriffen.
    »Was ist also los?« fragte er. »Steckst
du in Schwierigkeiten?«
    »Nicht direkt.«
    »Du siehst aber jede Minute schlechter
aus. Ich hole dir mal was zum Frühstücken.«
    »Ich möchte nicht...«
    »Nur ein Glas Milch und einen Toast.«
Ich wollte erneut protestieren, aber er machte nur eine wegwerfende
Handbewegung. »Komm. Die Sonne hat den Nebel vertrieben. Wir setzen uns in den
Patio und unterhalten uns dort. Ich bin in drei Minuten zurück.« Ich glitt vom
Hocker, bahnte mir einen Weg durch die Kartons in den Patio und genoß den
wärmer werdenden Morgen. In einer Ecke war ein gefliester Whirlpool
eingelassen. Ich näherte mich vorsichtig. Vielleicht gab es hier ja
Alligatoren. Zu Weihnachten hatte eine undurchsichtige Brühe das Becken
gefüllt, die entweder Nährboden einer völlig neuen Spezies sein konnte oder
Heilmittel für eine Unzahl bis dahin unheilbarer Krankheiten. Wer weiß, von wem
oder was es jetzt gerade bewohnt wurde. Doch welche Überraschung — das Wasser
war klar und verströmte leichten Chlorgeruch.
    Wieso bedrückte mich das alles? fragte
ich mich und ließ mich in den Gartensessel fallen. Das Leben meines Bruders war
im Gleis, und ich war trotzdem bedrückt. Vermutlich war ich mit zu
vielen Veränderungen in kürzester Zeit konfrontiert worden. Da ich darauf nicht
vorbereitet war, wehrte ich mich irgendwie.
    Und dann ging es mit meiner Stimmung
noch weiter bergab. Ich dachte an meine Zusage, All Souls heute bis Büroschluß
meine Antwort auf die Beförderung zukommen zu lassen. Aber damit konnte ich
mich im Moment einfach nicht auseinandersetzen — und schon gar nicht in meiner
gegenwärtigen Verfassung. Vielleicht sollte ich Rae anrufen und sie bitten,
mich zu entschuldigen: Wegen meiner vorgeschobenen Erkrankung benötige ich mehr
Zeit...
    John kam mit der Milch und dem Toast,
setzte sich auf den Rand des Pools und beobachtete mich wie ein
Gefängniswärter, bis ich den letzten Tropfen getrunken und den letzten Krümel
gegessen hatte. Als er Teller und

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