Wölfe und Kojoten
Gejagte.
Wieder heulte der Kojote — diesmal aber
näher. Trotz der warmen Nacht fuhr mir ein Schauer über den Rücken. Ich schloß
die Augen und versuchte, mir Hys Gesicht vorzustellen. Doch ich sah nur das von
Gage Renshaw mit dem Ausdruck, den es hatte, als er sagte, er werde ihn
umbringen. Hy schien in weiter Ferne zu sein, auch wenn ich noch am Abend
Plätze aufgesucht hatte, wo er erst achtundvierzig Stunden zuvor gewesen war.
Ich hatte Leute gesprochen, mit denen er gesprochen hatte. Morgen mußte ich
schneller vorankommen, um die Lücke zwischen uns zu schließen...
In einiger Entfernung ertönte ein
Schrei aus dem Cañon — ein großes Tier hatte ein kleineres gerissen. Ich fuhr
hoch und wußte, daß ich in dieser Nacht wenig Schlaf finden würde. Zwar war ich
im Moment hier sicher, doch man suchte mich bereits. Ein falscher Schritt, und
sie würden mich ebenso sicher fassen wie der Kojote seine Beute.
Mittwoch, 9. Juni
11
Holiday Market war ein Treffpunkt für
Leute, die einen Gelegenheitsjob suchten.
Dutzende von Männern bevölkerten den
mit Unkraut bewachsenen Parkplatz — sie tranken Kaffee aus Styroporbechern,
unterhielten sich, rauchten. Es waren ausschließlich Latinos, und die meisten
von ihnen lebten sicher noch nicht lange auf dieser Seite der Grenze. Die
Schultern gegen die morgendliche Kälte hochgezogen und die Hände in den Jackentaschen
vergraben, sahen sie erwartungsvoll jedem ankommenden Lkw entgegen.
Zwar kamen Laster der verschiedensten
Branchen auf der Suche nach ungelernten Kräften herein, doch in der Mehrzahl
gehörten sie Baufirmen. Die Fahrer folgten einem vorgeschriebenen Ritual: Sie
stiegen aus ihrem Truck, schlenderten in die Halle und kamen nach ein paar
Minuten mit einem Kaffee wieder heraus. Nun erst begann das Verhandeln.
Und wenn die Polizei oder die
Einwanderungsbehörde aufkreuzte? Nur ein kurzer Stopp für einen Koffeinstoß auf
dem Weg zur Arbeit, Herr Inspektor. Illegale beschäftigen? Um Himmels willen,
nein, so etwas würde ich nie machen. Außerdem sind diese Arbeiter ohne Papiere
einfach der letzte Dreck. Übrigens gibt es an diesem Parkplatz ein Schild — Herumlungern
verboten, Prohibido el Pararse. Zum Teufel, jeder weiß doch, daß das
heißt: »Hier holst du dir besser keine billigen Arbeitskräfte.«
Heute morgen störte keine Behörde die
Verhandlungen. Ich saß auf der anderen Straßenseite hinter dem Steuer des Scout
und sah zu, wie die Fahrer der Baufirmen sich ihre Arbeiter aussuchten und sie
auf die Laster klettern ließen. Zwar lag ihr Tageslohn weit unter dem
tariflichen, und Sozialleistungen waren gänzlich unbekannt, dennoch konnten sie
sich zu den Glücklichen zählen. Die Zurückbleibenden — oft zu krank oder zu
sehr auf Turkey, um eine Chance auf dem Bau zu bekommen — würden am Abend
hungrig schlafen gehen.
Nach einer Weile stieg ich aus und
schloß den Scout ab. Von der Bucht zogen Wolken herüber, und obwohl die
Temperatur bei mehr als zehn Grad Celsius lag, war mir in der neblig-feuchten
Luft kalt bis auf die Knochen. Es war inzwischen kurz nach sechs. Um fünf hatte
ich es aufgegeben, als ich noch immer nicht eingeschlafen war. Nach einer
Dusche war ich dann hierher in die South Bay gefahren. Noch war wenig Verkehr
auf der Palm Avenue. Ich wartete auf eine Lücke und ging zum Market hinüber.
Die Gruppen der Arbeitssuchenden wichen zurück, als ich vorbeiging. Ihre Blicke
verdunkelten sich und spiegelten die Befürchtung wider, ich könnte von la
migra sein, und Verärgerung darüber, daß ich weder eine potentielle
Arbeitgeberin war noch eine von ihnen.
Die Betonmauern des Gebäudes waren
grellgrün mit orangefarbenen Streifen gestrichen, die schmutzigen Fenster mit
massiven Gittern gesichert. Wenige Schritte vom Eingang entfernt entdeckte ich
ein Münztelefon. Ich sah es mir näher an. Die Plexiglasverkleidung war
zerschlagen, das Telefonbuch herausgerissen, und der Hörer hing herunter. Es
waren keine frischen Schäden, daher nahm ich an, Hy war nicht hergekommen, um
auf einen Anruf der Kidnapper zu warten.
Innen fand sich diese seltsame Mischung
aus normalem kleinem Supermarkt und Bodega, der man in südkalifornischen
Städten immer wieder an Stellen begegnet, wo vor allem Arbeiter und Militärs
mit ihren Familien in eher unbehaglicher Nachbarschaft mit frisch zugewanderten
Latinos leben. Tortillas verdrängten das Brot, und über der Fleischtheke hingen
aufgereiht Chorizos, scharfe, luftgetrocknete Würste.
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