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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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was
ich bin, und der mich nie verurteilt hat.«
    »Ma?« John starrte mich an, als hätte ich den Verstand
verloren. »Ja, Ma. Als sie mich letzten Herbst besuchte, hat sie einiges gesagt,
was mir zeigte, daß sie mich in mancher Hinsicht besser kennt als ich mich
selbst. Vielleicht kennt sie uns alle besser, als wir glauben.«
    »Was hat sie denn gesagt?«
    »Ach... daß ich eine Seite hätte, die
sei irgendwie... wild, so hat sie es genannt, eine Seite, die in keine der
bequemen kleinen Schubladen passe, in die unsere Gesellschaft die Menschen zu
zwängen pflege.«
    »Weißt du, das ist interessant, denn
etwa zur gleichen Zeit hat sie mir auch etwas gesagt. Und zwar meinte sie,
unter all meiner Verrücktheit verstecke sich ein verdammt konventioneller
Mensch, der nur auf den Zeitpunkt warte, an dem es ihm nicht allzu peinlich
sein mußte, das auch zu zeigen.«
    »Damit hat sie dich gemeint?«
    Er grinste. »Na ja, sieh uns an. Wer
ist denn im Morgengrauen hier aufgetaucht und sah aus wie ausgekotzt? Und wer
hat dich dazu gebracht zu frühstücken?«
    »Das stimmt. Mein Gott, wenn sie das in
uns gesehen hat, dann frage ich mich, was sie wohl in Charlene, Joey und Patsy
gesehen hat.«
    »Wir sollten sie mal fragen.«
    Ich lehnte den Kopf zurück und hatte
plötzlich das Gefühl, daß es mir schwerfiel, die Augen offenzuhalten.
    »He, bleib noch ein paar Minuten wach«,
befahl John. »Kannst du mir dieses Ripinsky-Foto leihen?«
    »Sicher, aber was...«
    »Ich lasse mir beim Schnellservice ein
paar Abzüge machen, und wenn Al und Pete glauben, sie könnten etwas für dich
tun, dann gebe ich ihnen die Fotos und lasse sie herumfragen. Inzwischen legst
du dich mal ein bißchen hin.«
    »Wie bitte?« Ich stand auf. »Ich muß
nach...«
    »Du mußt nirgendwo hin. Ehe
einer von den beiden nicht mit irgendeiner Nachricht zurückkommt, kannst du
ohnehin nichts machen. Gib mir also das Foto, geh ins Kinderzimmer und hau dich
aufs Ohr.«
    Ich mußte zugeben, daß die Idee mich
reizte. »Du weckst mich, sobald du etwas erfahren hast?«
    »Ich wecke dich. Los, ins Bett!«
    »Versprochen?«
    »Ja! Bei Gott, du erinnerst mich an
meine Kinder.«
    »Bei Gott, du erinnerst mich an Ma.«
    »Na ja, jeder braucht mal hier und da
ein wenig Bemutterung, Kindchen. Jeder.«
     
     
     
     
     

12
    Als ich in dem schmalen Kinderbett
aufwachte, hatte die Nachmittagssonne die Luft in dem kleinen Zimmer
unerträglich aufgeheizt. Ich lag eine Weile erschöpft mit einem Schweißfilm auf
der Haut da. Irgendwo wurde das Klingeln eines Telefons abrupt von einem
Anrufbeantworter abgeschnitten. Dann meldete sich die Stimme meines Bruders vom
Tonband mit Mr. Paint, und anschließend hinterließ eine Frau eine reichlich
verworrene Nachricht. Schließlich stand ich auf und öffnete das einzige
Fenster. Ich blickte auf eine Ansammlung hoher Pflanzen, die von einem hohen
Zaun umgeben war — Johns Dope-Garten. Dies war der eindeutige Beweis dafür, daß
mein Bruder doch noch der alte war. Was machte er wohl mit den Pflanzen, wenn
seine Jungen hier waren? Er würde ihnen doch kein Zimmer mit Ausblick auf eine
Marihuana-Farm bieten. Oder? Na ja, das war seine Sache. Zumindest soweit es um
die Jungen ging, schien John zu wissen, was er tat.
    Ich ging in die Küche. Das einzige
Geräusch war der tropfende Wasserhahn. Die Erinnerung an die Jahre der
Trockenheit ist den Bewohnern von San Francisco zur zweiten Natur geworden. Ich
ging zum Spülbecken und drehte am Hahn, bis das Tropfen aufhörte. Im
Kühlschrank fand ich eine Dose Ginger-ale und sonst jede Menge Sechserpacks
Bier. Durstig trank ich das Ginger-ale, während ich überlegte, wie ich Rae am
besten erreichte. Nach der Uhr am Herd war es ein Uhr neununddreißig.
Wahrscheinlich saß sie an ihrem Schreibtisch. Leider konnte ich nicht sicher
sein, daß die Telefonleitung zu All Souls nicht angezapft war. Inzwischen
würden die RKI-Leute wohl mit allen Mitteln nach mir suchen.
    Schließlich wählte ich doch von dem
Apparat auf Johns Schreibtisch die Nummer von All Souls. Mit verstellt hoher
Stimme sagte ich Ted, als er sich meldete, daß ich im Auftrag von Tony Nolan
anriefe, einem Klienten, für den Rae eine Reihe von Nachforschungen anstellte.
Rae meldete sich und erkannte mich sofort.
    »Shar...« sagte sie.
    »Nein«, schnitt ich ihr das Wort ab,
»ich will nicht mit Miss McCone sprechen, sondern mit Ihnen. Ich bin einer Lösung
des Problems in der Stammkneipe auf die Spur gekommen und möchte in

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