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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Gerichtsmedizin eine besonders kühle Temperatur, doch auch
hier, in Bau Nr. 14, war es warm.
    Ich wartete in einem Vorführraum, in
dem die Leiche des unidentifizierten Mannes auf dem Bildschirm erscheinen
sollte. Ich war froh, daß ich sie mir nicht aus der Nähe im Kühlraum selbst
ansehen mußte, denn mein Magen war ohnehin schon völlig verkrampft, und meine
Atmung wurde immer flacher. Selbst auf diese Entfernung ist der Anblick einer
Leiche etwas, das einem auf den Magen schlägt, und erst recht, wenn einem der
Mensch nahegestanden hat.
    »Lertig, Miss McCone?« fragte der
Assistent.
    Ich nickte und spürte, daß ich die
Armlehne meines Sessels fest umklammert hatte.
    Der Mann erschien auf dem Bildschirm: Die
schlechte Übertragung tauchte ihn in ein surreales Blaugrün. Er war groß und
schlank. Er hatte dunkelblondes Haar, einen schlaffen Schnurrbart und
scharfgeschnittene Gesichtszüge. Im Tod wirkte er friedlich, fast heiter.
    Es war nicht Hy.
    Und es war nicht Timothy Mourning.
    Ich hatte ihn nie zuvor gesehen.
     
    Vom Apparat des Assistenten rief ich
Gary Viner an. »Es ist nicht der Sohn meines Auftraggebers. Ich weiß nicht, wer
er ist.«
    »Verheimlichst du mir auch nichts,
McCone?«
    Nur den Namen des Mörders, eine Entführung,
eine mißglückte Zwei-Millionen-Dollar-Übergabe an die Erpresser und eine
Vermißtenmeldung. »Bestimmt nicht. Die Leute, mit denen ich gesprochen habe,
haben mich auf eine falsche Fährte gesetzt.«
    »Beaner.« Viner seufzte. »Verdammte
blöde Beaner. Na ja, danke für deine Mühe.«
    »De nada«, sagte ich ironisch und hängte ein.
     
    Im Haus meines Vaters setzte ich mich
an den kleinen Schreibtisch im Wohnzimmer, an dem meine Mutter immer die
Rechnungen erledigt hatte. Ich fand einen Schmierblock in der mittleren
Schublade und kritzelte nachdenklich darauf herum.
    Aber mir fiel nichts Brauchbares ein.
Meine Gedanken wanderten zur vergangenen Nacht zurück und zu meiner Begegnung
mit Marty Salazar. Natürlich hatte er gelogen, und seine Beschreibung war eine
Mixtur aus Hy und dem Mann im Leichenschauhaus. Das zumindest bewies, daß er
sich beide genau angesehen hatte, bevor er den Mord beging.
    Ich wünschte mir die Gewißheit, daß Hy
am Leben war. Zugleich war mir aber auch bewußt, daß das noch lange nicht
sicher war. Salazar konnte ihn ebenfalls getötet und sich seiner Leiche
entledigt haben. Bei der Beseitigung der anderen war er dann vielleicht durch
die eintreffende Polizei gestört worden. Oder Hy hatte verwundet fliehen können
und war inzwischen tot oder lag im Sterben. Im Endeffekt hatte mir die Fahrt
zum Leichenschauhaus nur eine vage Hoffnung gebracht sowie die Gewißheit, daß
dringendst etwas geschehen mußte. Ich mußte mit meinen Ermittlungen
weiterkommen, und zwar schnell.
    Meine Finger umklammerten den Stift, mit
dem ich gekritzelt hatte, so fest, daß er zerbrach. Ich schleuderte die Stücke
mit solcher Wucht in den Papierkorb, daß eines wieder heraussprang. Ich war
wütend, aber nicht nur auf Salazar. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich
Abregos Beschreibung dieses Mannes, nämlich als einen Dreckskerl, nicht
beachtet hatte.
    »Etwas davon wird stimmen, anderes
nicht. Suchen Sie sich aus, was Sie gebrauchen können.« Aber das hatte ich
nicht getan. Ich hatte alles für bare Münze genommen und nicht kritisch
hingehört. Ich hatte zugelassen, daß Emotionen meine Professionalität
überrollten.
    Inzwischen hatten sich meine Emotionen
stabilisiert, und es war an der Zeit weiterzumachen. In Zukunft mußte ich mich
allein auf meine Logik verlassen. Noch einmal durfte ich mir die Schwäche, eine
innere Verbindung zu Hy zu suchen, nicht gestatten. Offenbar gab es immer
wieder einmal Gründe, weshalb es einfach nicht funktionierte.
    Auf ein Neues, also. Zunächst ein Name
— nein, zwei Namen. Brockowitz und Ann Navarro.
    Bei keinem von beiden gab es besondere
Ansatzpunkte. Navarro war ein recht geläufiger Nachname. Das galt zwar für
Brockowitz nicht, doch dafür konnte er sowohl einer Frau als auch einem Mann
zugeordnet werden. Ich zog die Telefonbücher für Stadt und County aus der Schreibtischschublade
und ging sie durch. Kein Eintrag unter Brockowitz. Eine A. C. Navarro. Ich
wählte die Nummer. Der Mann, der sich meldete, sagte, bei ihm gebe es keine
Ann. Bei der Auskunft fragte ich nach Neueinträgen. Keine.
    Ich aß ein Sandwich mit Aufschnitt, das
ich auf dem Heimweg eingekauft hatte, und fuhr anschließend zum County Center
zurück.

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