Wölfe und Kojoten
der Wind strich. Wie die
Geisterwölfe aus den Gute-Nacht-Geschichten meiner Kindheit liefen sie zwischen
den Schatten hin und her. Zu erkennen waren sie nicht. Für einen Moment verließ
mich meine Gelassenheit. Am liebsten wäre ich den Damm wieder hinuntergekrochen
und blind davongerannt, wie damals vor den Wölfen in meinen Alpträumen. Doch
dann stellte sich die Ruhe ganz von selbst wieder ein. Die alten Geschichten
hatte ich ein für allemal überwunden.
Ich zog die ,45er meines Vaters aus dem
Gürtel und stützte sie probeweise auf dem Erdwall vor mir ab. Erneut sah ich
auf die Uhr. Fast fünf Minuten waren vergangen. Suchend ließ ich den Blick über
das Gelände schweifen, entdeckte aber niemanden. Ich horchte und wartete.
Dann drangen Geräusche von unten
herauf. Ihr Echo fing sich in der Abflußröhre. Mein Körper spannte sich. Ich
schaute angestrengt durch die Dämmerung. Das richtige Licht für Heckenschützen,
sagt man.
Und da war ein Heckenschütze.
Freitag, 11. Juni
17
Die besten Verstecke, dachte ich, als
ich meine Tasche in den Bungalow trug, sind oft so offensichtlich, daß niemand
auf die Idee kommt, dort nachzusehen.
Das kleine Motel lag an einer der engen
Straßen von La Jolla — nur wenige Meilen entfernt von dem neuen Bürokomplex, in
dem sich das RKI-Hauptquartier befand. Es stammte aus den Vierzigern, war
verputzt und hatte ein rotes Ziegeldach, das überwuchert war von knorrigen
Glyzinien. Ein idealer Platz für ein Stelldichein, auch ich war ein paarmal
hiergewesen. Das Motel lag nur zwei Blocks von der Prospect entfernt, der
Hauptstraße, die durch das Geschäftsviertel von La Jolla führt, eine
erstklassige Lage, umgeben von teuren Restaurants und Geschäften. Das Motel war
nur deshalb nicht schon längst abgerissen oder zumindest gründlich modernisiert
worden, weil die Besitzerin, eine alte Frau, sich standhaft weigerte,
entsprechende Angebote auch nur in Betracht zu ziehen. Mit gleicher
Hartnäckigkeit weigerte sie sich, die Ausstattung zu verbessern, daher waren
auch die Preise auf einem für mich erschwinglichen Niveau geblieben.
Ich hatte die Wahl, denn von den zwölf
Bungalows waren nur wenige belegt. Ich entschied mich für einen im hinteren
Teil des Hofs, über dem ein großer Jacarandabaum seine Äste wie ein Schirm
ausbreitete. Seine farnartigen Zweige streiften meinen Kopf, als ich darunter
hindurchging. Beim Eintreten stockte mir der Atem. Meine Vermutung stimmte: In
einem zauberhaften Sommer hatte ich in den College-Ferien hier mehrere Nächte
mit einem viel älteren Mann verbracht. Er arbeitete an dem nahegelegenen
Scripps-Institut, und wir hatten eine kurze, aber leidenschaftliche Beziehung.
Der Terrakottaboden, die schmucklosen, weiß getünchten Wände, die winzige
primitive Küche und das entsprechend alte Bad sahen genauso aus wie damals. Nur
der Jacarandabaum war gewachsen und hatte sich verändert. Der Jacarandabaum und
ich.
Ich schloß die Tür hinter mir und
stellte meine Tasche auf den Gepäckbock am Fußende des klobigen Betts. Dann
ging ich in die Küche und sah aus dem Fenster. Ich blickte auf den Weg, auf dem
ich meinen Leihwagen geparkt hatte. Eine Hintertür führte hinaus. Ich prüfte
das Schloß. Das Fenster war fest verschlossen und die Fugen von Farbe verklebt.
Ich prüfte auch die Vordertür und die übrigen Fenster. In der Gewißheit, daß
der Bungalow relativ sicher war, ging ich zu dem kleinen Schreibtisch und
suchte in der Schublade nach einem Briefumschlag.
Am Morgen hatte ich Mission Hills im
dichten Pendlerverkehr fluchtartig verlassen und dennoch auf dem Weg in die
Innenstadt einen Verfolger entdeckt. In der City hatte ich den Scout in der
Tiefgarage des Horton Plaza abgestellt und war durch einen Seitenausgang verschwunden.
In einem nahegelegenen Restaurant zwang ich mich zu einem Frühstück und
mehreren Tassen Kaffee. Dabei tat ich so, als ob ich die ›Union-Tribune‹
studierte, und beobachtete die anderen Gäste und die Passanten auf der Straße.
Ein Mann mit der Baseballmütze der Padres lungerte eine halbe Stunde lang auf
dem Gehsteig herum. Er schien mir verdächtig. Also schlug ich die Zeit bis zehn
tot und ging dann den Broadway hinunter zu Huston’s, einem Kaufhaus, in dem ich
einmal beim Sicherheitsdienst gearbeitet hatte. Der Mann folgte mir.
Einem Kunden mag die Anlage eines
Kaufhauses einfach und unkompliziert erscheinen, wenn auch die Toiletten
meistens versteckt in abgelegenen Bereichen liegen. Doch
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