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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Luft im Wasser
planschten. Im Weitergehen sah ich zu den Häusern hinauf, bis ich Fontes’ Villa
entdeckte.
    Sie duckte sich tiefer an den Boden als
die Nachbarhäuser. Die gemauerte Terrasse war von Glaswänden zum Schutz gegen
den Wind umgeben. Die Fenster zur Seeseite waren klein und ebenfalls
vergittert, doch zur Terrasse öffneten sich großzügige Türen. Es war niemand zu
sehen. Ich erkannte eine fahrbare Hausbar. Kurz darauf kam ein Mann in weißer
Dienerjacke mit Gläsern in der Hand heraus. Sollte er sich um die Gäste aus
Kalifornien kümmern?
    Nach etwas mehr als hundert Metern
endete der Strand an der Mündung des ausgetrockneten Flußbetts. Hier gedieh
eine dichte Vegetation: Kakteensträucher, Yuccas, Maulbeerbüsche und — zur
Anhöhe hin — Sedumgewächse. Ich ging weiter und traf auf ein paar alte und
verrottete hölzerne pongas, Fischerboote, die Fontes und seine Nachbarn
dort wohl wegen ihres pittoresken Anblicks hatten liegen lassen. Näher am
Flußbett lagen ein paar neuere pongas aus Fiberglas im Sand. Im
Näherkommen entdeckte ich inmitten der wuchernden Pflanzen die Umrisse von
rohen Bretterhütten mit rostigen Blechdächern und Bettüchern anstelle von
Türen. Ihre Bewohner hatten sie türkis-, lavendel- und pinkfarben angestrichen.
Hier und da spannte sich eine Leine mit leuchtend bunter Wäsche zwischen den
Maulbeersträuchern. In einer Art Lichtung spielten Kinder neben
muschelübersätem Abfall und ausrangierten Autoteilen. Frauen liefen mit Körben
und Eimern umher. Ich hatte die Slums von El Sueño entdeckt, sorgfältig
versteckt, damit sie das beschauliche Leben oben auf dem Hügel nicht störten.
    Nach einer Weile kehrte ich um und ging
zu den verrottenden pongas zurück. Ich setzte mich auf den Kiel der ponga, die der Wasserkante am nächsten lag, und stellte meine Tasche ab. Ich begann
mit der Kamera zu experimentieren, indem ich sie auf die herumfliegenden Möwen
und Pelikane richtete. Als ich das Objektiv scharf eingestellt hatte, fiel mir
der Hinweis des Verkäufers bei Gooden’s ein: »Damit können Sie auf zweihundert
Meter die Flaumfedern auf dem Kopf eines Vogelbabys zählen.« Wie recht er
gehabt hatte! Ich drehte mich um 180° und richtete das Objektiv auf die
Siedlung im Flußbett. Selbst unbeachtet, konnte ich das Gesicht einer Frau
erkennen, die mit dunklen Augen nach unten sah. Ich senkte das Objektiv, um zu
sehen, wohin sie schaute: Mit einem Messerschlag zerteilte sie gekonnt eine
dicke Tomate.
    Wenn ich auf diese Entfernung schon so
genaue Details sehen konnte, was würde ich dann erst alles in Fontes’ Villa
erkennen! Die Lage hier war so perfekt für mein Vorhaben geeignet, daß ich
abergläubisch die Finger kreuzte, damit nichts schiefging.
    Fontes auszuspionieren war eine Sache,
aber diese Frau heimlich bei der Zubereitung ihres Abendessens zu beobachten
eine andere. Dabei fühlte ich mich wie eine Voyeurin. Ich legte die Kamera weg
und sah wieder nachdenklich auf die See hinaus. Sollten die Leute in der Villa
mich bemerkt haben, konnten sie ruhig herschauen. Sie sollten sich an eine
einsame Touristin gewöhnen, die auf den Pazifik hinausblickte und ab und zu ein
Foto von dem bewölkten Sonnenuntergang zu machen versuchte. Nach einer Weile
würde ich für sie mit der Landschaft verschmelzen, eine Touristin mit
Superausrüstung, die sich von einer Erscheinung faszinieren ließ, die hier
jeden Abend stattfand.
    Ich saß mit dem Rücken zur Villa, doch
meine Gedanken kreisten eng um das, was sich dort ereignen mochte. Zunächst war
da der Volvo, dem ich gestern abend gefolgt war, als Ann Navarro mit Diane
Mourning zur Grenze fuhr. Ann Navarro wußte höchstwahrscheinlich noch gar
nicht, daß sie seit Sonntag abend Witwe war. Seit Sonntag abend, als Stan
Brockowitz auf der Mesa erschossen wurde. Von Marty Salazar? Sicher war das
nicht, aber wenn es Salazar nicht selbst gewesen war, dann wußte er zumindest,
wer es getan hatte.
    Diese Tatsache führte mich zu einer
sehr unangenehmen Möglichkeit, der ich mich besser sofort stellen sollte. Diese
Möglichkeit hieß: Hy könnte Brockowitz erschossen haben. Nach Anne-Maries
Andeutungen zu schließen, war zwischen Hy und Brockowitz eine böse Geschichte
passiert. Und Hy war in der Nacht auf der Mesa gewesen. Obwohl Hy es nur
angedeutet hatte, wußte ich, daß er zumindest einmal jemanden getötet hatte.
Genau wie ich hatte er die entscheidende Linie überschreiten müssen, weil er
keine andere Wahl gehabt

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