Wölfe und Kojoten
hatte.
Keine andere Wahl. Das war der Schlüssel. Sollte Hy
Brockowitz erschossen haben, dann nur, weil er sich in einer ausweglosen Lage
befunden hatte. Sein Motiv mußte stärker gewesen sein als die alte Feindschaft.
Stärker als der Plan, ein Zwei-Millionen-Akkreditiv zurückzuhalten.
Das Akkreditiv. Wer hatte es jetzt in
Händen? Hy? Wenig wahrscheinlich. Vielleicht hatte irgend jemand ihm das Papier
abgenommen, und er hatte keinen Kontakt mehr zu RKI aufgenommen, weil er
versuchte, es auf eigene Faust wiederzubekommen. Wer hatte es ihm abgenommen?
Salazar? Möglich, und wenn ja, was hatte Salazar damit vor?
Und dann war da noch Gilbert Fontes.
Fontes und sein Bruder, mit dem er sich überworfen hatte und der die Firma
leitete, auf die das Akkreditiv ausgestellt war. Und schließlich Terramarine —
die Gruppe, die in dieser Gleichung sozusagen die Unbekannte war. Ebenso
unbekannt war auch die offenkundige Verbindung zwischen Fontes, Ann Navarro und
Diane Mourning. Und schließlich Timothy Mourning, der jetzt seit zwölf Tagen
vermißt war. Wäre Mourning der Tote auf der Mesa gewesen oder auch ein
Terramarine-Mitglied, hätte dieses ganze Szenario mehr Sinn ergeben...
Die meisten Leute hatten inzwischen den
Strand verlassen. Die junge Mutter rief ihre Kinder, die nur widerwillig aus
der Brandung kamen. Sie wickelte sie in Handtücher, legte ihnen die Arme um die
Schultern und stieg mit ihnen die Stufen zu einer der Villen hinauf. Vom
Flußbett zog der Geruch der Feuerstellen herüber, dazu Stimmengewirr und Musik.
Ein weißhaariger Mann ging an der Wasserkante entlang, während sein Irischer
Setter vergnügt durch die Wellen sprang. Der Mann nickte mir gleichgültig zu,
und der Hund nahm mich überhaupt nicht zur Kenntnis.
Dunkelheit senkte sich herab. Im
Flußbett flackerten die Feuer, und es roch nach Fisch und gebackenen Tortillas.
Das Lachen von Männern und Frauen klang herüber. Ich drehte mich zu den Villen
auf der Anhöhe um, die nun hell erleuchtet dalagen. Musik und
Cocktail-Geschnatter waren zu hören, und der Geruch von Holzkohlengrills wehte
herunter. Mein Magen knurrte wütend. Es war kühler geworden, im Moment zwar
noch angenehm, doch mit Einbruch der Nacht würde es richtig kalt werden. Ich
hatte keine dicke Jacke und keinen warmen Pullover bei mir. Diese Dinge lagen
noch in Bungalow Nummer 7 im La Encantadora.
Na und, sagte ich mir, du hast schon
schwerere Prüfungen überstanden als eine kalte Nacht am Strand.
Ich setzte mich nun ganz herum und
betrachtete Fontes’ Villa eingehend. Die Terrassentüren waren geöffnet, und der
Diener in seiner weißen Jacke kam heraus und ging wieder zurück. Sonst war
niemand draußen zu sehen, und niemand stand an einem der beleuchteten Fenster.
Ich ließ das Haus nicht aus den Augen, als ich nach Tasche und Kamera griff und
mich in den Sand gleiten ließ. Zwischen den pongas war ein kleiner
Zwischenraum, gerade groß genug für die Kamera. Ich schob sie hinein und legte
vorn ein Stück Holz unter, damit sie den richtigen Anstellwinkel bekam. Als es
völlig dunkel war und am Strand keine Bewegung mehr zu erkennen war, legte ich
mich auf den Bauch und fokussierte die Terrasse.
Der Kellner stellte eine Platte Horsd’œuvres
auf einen Tisch. Er verteilte Sets und schob vier gepolsterte Stühle heran. Mit
sichtbar zufriedenem Blick musterte er sein Werk. Dann stellte er sich hinter
die Bar und sah erwartungsvoll zur Tür. Das Teleobjektiv war so stark, daß ich
erkennen konnte, wie sich die Falten um seine Augen vertieften, als er den
ersten Ankömmlingen entgegenlächelte.
Ich verschob die Kamera ein wenig, bis
ich Diane Mournings schmale, humorlose Züge im Blick hatte. Begleitet wurde sie
von der Frau, die ich als Ann Navarro identifiziert hatte. Nachdem sie sich
Drinks geholt hatten, gingen sie zum Tisch und unterhielten sich. Auf Diane
Mournings Seite war das Gespräch sehr nachdrücklich und intensiv. Sie hatte die
Augenbrauen sorgenvoll hochgezogen, und bei jedem dritten oder vierten Wort
nickte sie zur Betonung mit dem lockigen Kopf. Ein paar Worte konnte ich von
ihren Lippen ablesen: »Auf keinen Fall« und »Das kann er nicht«. Ann Navarros
kräftige indianische Züge blieben gelassen. Sie sprach nur wenig, machte aber
hin und wieder eine besänftigende Geste.
Ich beobachtete Ann Navarro mit
Interesse. Sie wirkte schlicht, fast hausbacken, und hatte offensichtlich ein
Gefühl dafür, daß kunstvolles Make-up ihr Aussehen nicht verbessern
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