Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
seinen Eltern, daß er die Berge haßte. Er war fünfzehn, und es war vorhersehbar gewesen, daß sein pubertäres Bedürfnis nach Rebellion an dieser Stelle ansetzen würde. Seine Bergstiefel warf er in den Müll und verbrachte von da an seine Ferien lesend an Stränden. Und wenn es nur der Maschsee war. Vor zwei Jahren hatten Robins Eltern ihr Geschäft und das Reihenhäuschen in Kirchrode verkauft und den alten Gutshof erstanden, um ihren Lebensabend mit Wandern und Radfahren im nahen Deister zu verbringen. Robin gefiel das nicht, aber Walter und Edith Sültemeier fragten ihren inzwischen dreißigjährigen Sohn nicht nach dessen Meinung. Ihr Verhältnis war seit Jahren getrübt. Unsportliche Menschen waren in den Augen der Sültemeiers zweifelhafte Charaktere. Auch ihr Sohn.
Ehe sich das rüstige Rentnerpaar an die Renovierung seines Landsitzes machen wollte, waren sie noch einmal in ihre geliebten Berge gefahren. Es hätte eine achttägige Skitour duch die Dolomiten von Hütte zu Hütte werden sollen. Am dritten Tag, einem Tag mit strahlendem Sonnenschein und milden Temperaturen, hatte sich gegen Mittag die Lawine gelöst. Eine Gruppe italienischer Tourengänger hatte das Unglück beobachtet und die Bergrettung verständigt. Die stürzenden Schneemassen hatten die beiden norddeutschen Sportler vierhundert Meter weit mit sich gerissen, eine Geröllhalde hinunter, bis in ein flaches Schneefeld. Dort hatten die Männer von der Bergwacht die Leichen der Sültemeiers aus dem schweren Firn herausgegraben.
Die Erbschaft hatte nicht ausgereicht, um dem Gutshof die nötige Rundumsanierung zukommen zu lassen. Robin hatte verkaufen wollen. Doch die Preise, die die Interessenten boten, lagen weit unter dem, was sein Vater dafür bezahlt hatte. Oft fragte sich Robin, was sich sein Vater eigentlich dabei gedacht hatte, und unter seine Trauer mischte sich Zorn. Er war Geschäftsmann gewesen, er konnte doch rechnen! Gut, er hatte vieles selbst machen wollen, er hatte ja Zeit. Zumindest hatte sein Vater das geglaubt. Aber Robin, der Erbe, war kein Handwerker. Er schrieb gerade an seiner Abschlußarbeit und ging mit der Idee für einen neuen Roman schwanger. Er hatte weder Zeit noch Lust, sich um einen im Zerfall begriffenen Gutshof zu kümmern. Dann war Hannes auf den Plan getreten, hatte gerechnet, gezeichnet, geplant. Angesteckt von Hannes’ Begeisterung hatte schließlich auch Klara angefangen, sich für das Gut zu interessieren.
Sie waren zusammen hingefahren, im Spätsommer. Die letzten Mieter, laut Makler eine nicht näher definierbare Ausländerfamilie, hatten das verlotterte Anwesen erst kurz zuvor geräumt, aber es sah dennoch so aus, als stünde es seit Jahren verlassen inmitten der sanften Hügellandschaft, die dem Deister, dem kleinen Mittelgebirgszug südlich von Hannover, vorgelagert war. Klara hatte sich sofort in das Anwesen verliebt, und sogar Robin hatte sich von Hannes’ Plänen überzeugen lassen.
Jetzt stand er hier und sollte einem neuen Mähdrescher huldigen.
»Wunderschön«, sagte Robin und hoffte, damit nichts falsch zu machen.
»Ja, ne!« sagte Arne und tätschelte seinem New Holland zärtlich die Reifen. »Kommst du nachher mit in die Kiesgrube?«
»Wozu?« fragte Robin begriffsstutzig.
Arne deutete eine Schießbewegung an.
»Ja, klar.«
Schon im Winter hatten sie abgesprochen, daß Arne Robin und Hannes das Schießen beibringen wollte. »Ein Landmann muß mit einem Gewehr umgehen können«, hatte er konstatiert und mit einem Auge gezwinkert. »Zwecks Schädlingsbekämpfung.«
Robin hatte angenommen, Arne hätte sein Angebot längst vergessen, aber er hätte es eigentlich besser wissen müssen. Was Arne versprach, das hielt er.
»Ich hole dich in einer halben Stunde ab«, sagte Arne und walzte mit seinem Monstrum vom Hof.
Barbara knipste den Fernseher aus. »Entschuldige«, sagte sie und stand vom Sofa auf. »Ich mußte mir das direkt ansehen, unser Videogerät ist zur Zeit kaputt.«
Nasrin trug das Tablett mit dem schmutzigen Geschirr in die Küche und stellte es ab.
»Ich habe Klara getroffen.«
Barbara zog statt einer Antwort die Stirn kraus.
»Sie hat schöne Hunde.«
»Mir sind sie unheimlich. Weiß der Teufel, warum es gleich vier sein müssen, das ist doch nicht normal, oder?«
Das Mädchen zuckte die Schultern und begann die Tassen in die Spülmaschine zu räumen. Dabei sagte sie: »Ich wollte dich fragen, ob ich vielleicht ein oder zwei Tage hierbleiben könnte. Ich habe
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