Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
sie sehen einen an wie Hunde«, hatte Klara geflüstert. Es war das einzige, was sie während der Stallbesichtigung gesagt hatte, und Robin hatte den Eindruck gehabt, daß sie den Tränen nahe war, als sie den Stall vorzeitig verlassen hatte. Danach hatte sie sich drei Tage lang in ihr »finnisches Schweigen« gehüllt, wie es Robin nannte, ein autistisches Sich-Zurückziehen, das, je nachdem, zwei Minuten oder zwei Wochen dauern konnte.
Das Schweinefutter bestand aus Getreide, das vom Kornspeicher in die Raufen rieselte. Robin wurde erklärt, daß es sich um eine Mischung aus Weizen- und Gerstenschrot aus eigenem Anbau handelte, angereichert mit Sojaschrot. Mit einem Eimer wurde Futter und Wasser in den Trögen verteilt, riesige Rüssel fuhren in die Körner, Leib an Leib standen sie und schlangen den Brei in sich hinein, während die, die noch nichts bekommen hatten, umso ärger tobten.
»Warum haben die Ferkel eigentlich keine Schwänze?« fragte Robin.
»Die werden nach der Geburt abgeknipst. Sonst beißen sie sich später gegenseitig die Schwänze ab, und das gibt dann Infektionen.«
Es dauerte eine halbe Stunde, in der Arne mit klappernden Eimern durch die Gänge des verwinkelten Stalles eilte, dann verbreitete sich eine schmatzende Trägheit. Nur hier und da gab es noch ein Grunzen oder einen kleinen Kampf.
»Sie kriegen morgens und abends Futter, bis auf den Sonntag und die Feiertage. Da füttern wir nur einmal. Man braucht ja auch mal etwas Ruhe.«
»Das wird ihnen nicht gefallen«, meinte Robin.
»Nee«, grinste Arne. »Du darfst am Sonntagabend kaum über den Hof gehen, schon bricht da drin die Hölle los.«
Ganz hinten, in der letzten Kammer, standen die Eber. Es gab drei, jeder in seiner eigenen Bucht. Sie waren nicht größer als die ausgewachsenen weiblichen Tiere, aber ihr Gebiß war beeindruckend.
»Kräftiger als ein Schäferhundgebiß«, bemerkte Arne. Er nahm einen Besen, öffnete die Bucht eines Ebers und dirigierte ihn mit leichten Nackenschlägen den Gang entlang. Das massige Tier lief direkt auf Robin zu. Seine winzigen Äuglein unter den weißen Wimpern funkelten angriffslustig, nein: mordlustig. So kam es Robin jedenfalls vor, der sich starr vor Angst gegen die Stallwand drückte. Aber der Eber ignorierte ihn, wobei er ihn beinahe umrannte. Sein Ziel war eine größere Box, in der sechs weibliche Schweine angekettet nebeneinander standen. Ein Schweinebordell, dachte Robin. Als die Säue den Eber bemerkten, begannen sie zu quieken. Frohe Erwartung? Nein, eher das Gegenteil, registrierte Robin. Gelassen inspizierte der Eber die Hinterteile der Säue. Robin verspürte den dringenden Wunsch zu gehen. Er war nicht erpicht auf den Anblick kopulierender Schweine. Würde danach noch Liebe möglich sein?
Aber Robin hatte sich umsonst Sorgen gemacht. Keine der Säue animierte den Eber zu mehr als angeregtem Schnüffeln und Grunzen.
»Fauler Sack«, meinte Arne und brachte den müden Casanova zurück auf seinen Platz. »Ist noch zu früh«, erklärte er. Darüber war Robin nicht unglücklich. Seitdem war er nicht mehr im Schweinestall gewesen.
»Du meinst, ich kann das? Schweine füttern?«
»Das ist nicht kompliziert. Ich würde dir noch mal alles genau zeigen. Wär ja nur für einen Tag, oder zwei.«
»Klar«, sagte Robin. Was blieb ihm auch anderes übrig, bei allem, was Arne für sie schon an Nachbarschaftshilfe geleistet hatte. Er fragte sich ohnehin, was diesen tatkräftigen Kerl veranlaßte, sich mit einem wie ihm abzugeben. In seinen Augen mußte er, Robin, doch eine völlig überflüssige Existenz sein, so wie seine malende Schwester.
»Fährst du also auch weg?« fragte Robin.
»Vielleicht«, sagte Arne, während er das Gewehr schulterte und die Abschußvorrichtung auf die Ladefläche seines Pickups verfrachtete.
Sie saßen nebeneinander im Wagen, aber Arne fuhr noch nicht los, sondern langte in die Ablage der Wagentür und zog einen Flachmann hervor. Er hielt ihn zuerst Robin hin, der einen kleinen Schluck nahm. Die Flüssigkeit brannte in seiner Speiseröhre. Arne nahm einen größeren Schluck, offenbar brauchte er den für die folgende Eröffnung: »Ich habe eine Frau kennengelernt.«
»Echt? Wo?« wunderte sich Robin, denn in diesem Jahr hatte noch keines der zahlreichen Dorffeste stattgefunden, bei denen sich die Landjugend bis zur Besinnungslosigkeit betrank. Aber Arne war dreißig und zählte wahrscheinlich nicht mehr zur Landjugend.
»Internet.«
»Und?
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