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Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)

Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Hannover. Er radelte über Döhren und am Maschsee entlang, und als die Sonne herauskam, setzte er sich in ein Straßencafé in Linden und bestellte sich ein Glas Weizenbier. Nach fast zwei Stunden Fahrt war er verschwitzt und hatte einen höllischen Durst bekommen. Auch wenn er seinen Umzug aufs Land nicht bedauerte, war es doch schön, wieder einmal etwas Leben um sich zu spüren, Leute anzusehen. Männer mit wichtigem Schritt, coole Jugendliche mit Handys am Ohr, Frauen mit Tüten und Kinderwagen, eine Gruppe kichernder Mädchen, die vermutlich außer trashigen Klamotten und der nächsten SMS nichts im Kopf hatten. Robin überlegte, was diese Leute wohl für Schicksale und Geheimnisse mit sich herumschleppten, und ob jemand dabei war, der schon einmal einen anderen Menschen getötet hatte. Er nahm den Brief aus der hinteren Tasche seiner Jeans und las ihn erneut.
Lieber Robin,
bitte entschuldige, daß ich mich nicht mehr von dir verabschiedet habe. Abschiede sind nicht gerade meine Stärke, darum dachte ich, es ist besser so. Ich fand es schön bei euch, besonders bei dir.
Ich wollte eine Weile weg von zu Hause, weil ich es dort nicht mehr ausgehalten habe. Es fällt mir schwer, darüber zu schreiben. Meine Mutter trinkt. Manchmal geht es monatelang gut, dann wieder liegt sie halbnackt im Hausflur. Zuletzt war sie auf Entziehungskur, danach ging es eine Weile. Dann aber hat sie einen Kerl kennengelernt und bei uns angeschleppt, der ebenfalls Alkoholiker ist. Er brüllt rum, stinkt, bringt alles durcheinander und verleitet meine Mutter zum Saufen. Ich habe ihr gedroht, daß ich abhauen würde, wenn sie den nicht rausschmeißt. Sie braucht mich nämlich, wenn sie ihre Ausfälle hat. Sie betreibt einen kleinen Partyservice für Tapas, und die meiste Zeit bin ich diejenige, die die Gerichte zubereitet. Daher kann ich auch kochen, ich habe es früh gelernt, denn immer, wenn meine Mutter »krank« war, mußte ich kochen. Damals war noch mein Vater bei uns, aber der hat uns vor drei Jahren sitzenlassen und ist zurück nach Gerona. Meine Mutter hat meine Drohung nicht ernst genommen. An dem Tag, als mich Barbara getroffen hat, kam ich von einer Freundin. Daß ich euch angelogen habe, tut mir leid. Aber ich schämte mich zu sehr, diese Sache mit meiner Mutter jemandem zu erzählen. Trotzdem wäre ich gerne noch ein bißchen bei euch geblieben, aber das geht nicht, denn seit Donnerstag ist ja wieder Schule. Der Kerl von meiner Mutter ist gerade auf Entziehungskur, und es geht ihr einigermaßen gut und mir auch.
Sag Barbara und Hannes danke für alles, und grüße bitte auch Klara ganz lieb von mir. Du wirst bestimmt ein tolles Buch schreiben!
Machs gut, deine Nasrin (ich habe mich schon so an den Namen gewöhnt, daß ich meinen fast vergessen habe.)
P.S. Tut mir leid wegen des Fahrrads, aber es ging nicht anders.
    Es hatte Stunden gedauert, ehe das Gelesene ganz zu ihm durchgedrungen war. Also kein gefährliches Geheimnis, keine dunkle Tragödie, sondern das, was seinen geheimsten und schlimmsten Befürchtungen entsprach. Robin hätte ihr jedes Verbrechen verziehen, jede Lüge, selbst der Gedanke ihrer Ermordung durch seine engsten Freunde wäre besser zu ertragen gewesen als – das. Der Text las sich wie aus dem Script einer peinlichen Nachmittags-Talkshow oder ein Monolog aus Richter Johannes Frenzen . Es war so banal. Abgehauen, weil es Zoff gab, zurückgekehrt, weil die Osterferien vorbei waren. Und an so jemanden hatte er seine Gefühle verschleudert. Und sein Fahrrad.
    »Pack schlägt sich, Pack verträgt sich«, hörte er im Geist Klara sagen und konnte ihr süffisantes Lächeln förmlich vor sich sehen. Nein, sie durfte nichts von dem Brief erfahren. Niemand durfte davon erfahren. Robin las ihn noch einmal durch, dann stopfte er das zusammengefaltete Blatt wieder in seine Hosentasche. Warum er ihn nicht gleich fortwarf oder hier, an Ort und Stelle, im Aschenbecher verbrannte, darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.
    Nachdem er das Bier ausgetrunken hatte, gönnte er sich das zweifelhafte Vergnügen, bei dem Blumenladen auf der Limmerstraße vorbeizuschauen, den Barbara ihm als Arbeitsplatz der »richtigen« Nasrin genannt hatte. Sie band Buchsbaumzweige zu einem Kranz. Wenn er überhaupt etwas fühlte bei ihrem Anblick, dann Enttäuschung. Ihre Züge hatten zwar eine gewisse Ähnlichkeit, aber diese Frau hier wirkte viel plumper und ihre Bewegungen unterschieden sich doch sehr von denen »seiner« Nasrin. Nur

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