Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
kann ich etwas ausrichten, Frau … ach, sind Sie nicht die Journalistin?«
»Ja, die bin ich. Mit wem spreche ich bitte?«
»Ich bin Barbara Klein. Seine Verlobte.«
»Ach? Tatsächlich? Davon hat er mir noch gar nichts erzählt«, sagte die Frau gedehnt, während sich Barbara über ihre eigenen Worte wunderte. Welcher Teufel hatte sie denn nun geritten?
»Männer«, sagte Barbara. »So sind sie halt.« Sie hörte, wie sich der Schlüssel im Schloß drehte. »Da kommt er gerade. Sagen Sie ihm bitte nicht, daß ich Ihnen das verraten habe.« Sie gab das Telefon an Hannes weiter, der mit den Zeitungen unter dem Arm hereinkam. »Eine Frau Karpounis will dich sprechen, Schatz«, rief sie laut.
Hannes verschwand mit dem Telefon auf die Terrasse.
»Sie sind ein Glückspilz«, sagte Mia Karpounis.
»Warum?«
»Haben Sie schon Ihre Heimatzeitungen gelesen?«
»Das wollte ich gerade.«
»Haben Sie während der letzten Tage die Berichte über diesen fünfzehnjährigen Serientäter verfolgt?«
Hannes wußte, welchen Fall sie meinte. Seit Tagen wurde über einen fünfzehnjährigen marokkanischen Serienstraftäter berichtet. Er hatte während seiner Bewährungszeit versucht, einen Kiosk aufzubrechen. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten den rückfälligen Mehrfachtäter daraufhin in U-Haft nehmen. Er sei gefährlich und unbelehrbar, warnten sie. Doch der Amtsrichter ließ ihn laufen. Daraufhin legte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Beschwerde ein, aber auch dort fand ein Richter, daß der Einbruchsversuch kein ausreichend schwerer Verstoß gegen die Bewährungsauflage und damit kein Haftgrund sei. Der Junge blieb draußen. Es hatte deswegen viele erboste Leserbriefe gegeben.
»Sie wissen doch, ich bin pressegeil, ich lese nur Artikel, die mich betreffen.«
»Seien Sie keine Mimose. Der Junge hat gestern einen Schulkameraden niedergestochen und lebensgefährlich verletzt.«
»Sauber. Und warum bin ich deshalb ein Glückspilz?« fragte Hannes.
»Ich hatte heute morgen einen Anruf vom Redaktionsleiter. Das ist innerhalb von wenigen Wochen der dritte schwere Fall von Jugendkriminalität, der durch die Presse ging. Erst diese Folter- und Erpressungsgeschichte in Hildesheim, dann die Mißhandlungen an der Berufschule in Hannover, und jetzt das. Die öffentliche Meinung verlangt nun nach Richtern, die entschlossen durchgreifen. Kritische Anmerkungen über Ihre vergangenen Urteile liegen nicht mehr im Trend. Man hat mir übrigens den Artikel seinerzeit auch nur abgenommen, weil sie mir einen Gefallen schuldig waren. Im Februar haben die festangestellten Redakteure fast einen Monat lang gestreikt. Ich habe ich mich ganz schön ins Zeug gelegt, ohne uns Freie hätten sie den Regionalteil vergessen können. Und die Anzeigenkunden obendrein.«
»Sie sind eine Streikbrecherin?« stellte Hannes mit scherzhafter Empörung fest. »Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht.«
»Ich muß meine Miete zahlen.«
Mia Karpounis schnaufte laut hörbar durch, dann kam sie wieder auf den Grund ihres Anrufs zu sprechen: »Es wird also keine Reportage über Sie im Stern geben, sondern eine nette, harmlose Homestory in der Bunten . Keine kritischen Töne über Ihre Urteile, sondern: Richter Johannes Frenzen privat. Johannes Frenzen auf seinem Landsitz. Johannes Frenzen bei der Gartenarbeit, bei seinem Hobby, mit seinem Haustier, mit seinen Freunden, mit seiner Verlobten. Sie verstehen?«
»Äh, ja. Das heißt, nein, sie ist nicht …«
»Nein, Sie verstehen es noch nicht ganz. Sie sind aus der Schußlinie. Nicht nur das, Sie sind ab sofort der, der es immer schon gewußt hat.«
»Ja, schön, meinetwegen. Dann also, bis nachher.«
»Nein. Das Interview heute nachmittag wird eine junge Kollegin von der Bunten machen. Die ist prädestiniert für solche Geschichtchen.«
»Schade, ich hatte mich schon so an Sie gewöhnt.«
»Man kann nicht alles haben«, sagte die Karpounis. »Sie sind der Mann der Stunde. Nutzen Sie sie. Morgen rennen wieder neue Säue durch’s Dorf.«
Robin sah das gelbe Auto schon von weitem. Er eilte hinunter und riß dem Postboten den Packen fast aus der Hand. Wie immer war das meiste für Hannes, aber es gab auch ein dickes Päckchen für Klara und dann, tatsächlich, dieses Gefühl, das er beim Anblick des Wagens gehabt hatte, es hatte ihn nicht getäuscht: ein weißer Briefumschlag, mit der Hand beschriftet, der Robins Name und Adresse trug. Kein Absender. Auf dem Poststempel das nächstgelegene
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