Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
so ein Schaf wie Barbara konnte die beiden Frauen miteinander verwechseln, dachte Robin verärgert.
»Was wird das?« erkundigte er sich, denn er wollte ihre Stimme hören.
»Ein Frühlingstürkranz.«
»Aha«, sagte Robin und kaufte aus lauter Verlegenheit einen Strauß rosa Tulpen.
Das Fahrrad ließ er vor dem Ihmezentrum stehen, einem riesigen, vergammelnden Siebziger-Jahre-Beton-Koloß, Einkaufszentrum mit Wohnungen, ein sozialer Brennpunkt erster Güte. Noch immer hatte er die Tulpen dabei. Vielleicht sollte er sie einer schönen Frau auf der Straße schenken und ihr damit den Tag retten, oder besser noch, einer häßlichen Frau, aber weder in der Linie 10, noch auf dem Hauptbahnhof oder in der S-Bahn kam ihm ein geeignetes Subjekt in die Quere. An der Bahnstation mußte er eine Viertelstunde auf den Bus warten, und als er ausstieg, fiel ihm ein, daß dies die Haltestelle sein mußte, an der Barbara das Mädchen getroffen hatte. Würde ihn ab jetzt jeder Stein an sie erinnern? War er noch immer verliebt in sie, trotz allem, was er nun von ihr wußte? Aber was wußte er überhaupt? Daß ihre Mutter einen Partyservice für Tapas betrieb. Tapas waren in, fast in jeder Kleinstadt gab es inzwischen eine Tapas-Bar. Aber einen Partyservice? Das müßte doch herauszufinden sein. So viele dürfte es davon nicht geben, selbst wenn sie gar nicht aus Hannover war … Die Frage war: Wollte er sie überhaupt finden? Mußte er diesen bitteren Kelch wirklich bis zum Ende leeren? Oder hoffte er, um in diesem Bild zu bleiben, daß er an dessen Grund einen Diamanten fand? Mit derlei Fragen beschäftigt, näherte er sich Arnes Hof. In einer knappen Stunde war Futterzeit. Ebensogut könnte er jetzt gleich … Oder sollte er doch lieber bis morgen früh warten, ehe er den Stall wieder betrat? Er hatte den Sauen am Morgen eine großzügige Ration zukommen lassen, sie würden bis morgen durchhalten. Als er am Wohnhaus vorbei war, sah er das große Hoftor offenstehen. Auch die Stalltür stand offen. Im Außenpferch, neben dem Misthaufen, standen drei Schweine. Die drei Eber.
Robin wurde flau. War Arne doch zurückgekommen? Aber wann? Und warum? Robin ging voller Angst durch das Hoftor und in den Stall.
»Hallo?«
Niemand antwortete. Die Schweine grunzten gelassen vor sich hin. Robin näherte sich langsam dem Stall der Eber. Er beugte sich gerade über den Trog, als sich jemand laut räusperte. Robin wirbelte herum. Der Mann stand hinter ihm. Er hatte eine Mistgabel in der Hand.
Die Aufnahmen zogen sich in die Länge, weil das Licht häufig wechselte und noch öfter wechselte Barbara die Kleidung. Der Mercedes mußte herausgefahren werden, ebenso der Rasentraktor.
Barbara war schon wieder ins Haus gegangen, weil sie meinte, nun wäre der Auftritt für das neue Sommerkleid gekommen. Die junge Moderatorin – »Hey, ich bin Jenny« – hatte eine kernige Figur und gab sich Mühe, aber dennoch ging sie Hannes gehörig auf die Nerven.
»Schade, daß Sie keine Pferde haben. Tiere kommen immer gut, besonders auf dem Land.«
»Wir haben einen Kater«, sagte Barbara, die eben wieder erschien.
»Oh, wie schön. Wo ist er denn?«
»Ich gehe ihn suchen. Tiiituuus!«
Jenny ging ebenfalls den Kater suchen, und der Fotograf schlich ehrfürchtig um den Mercedes herum. Hannes setzte sich auf die Stufe vor seiner Haustür. Unwillkürlich tasteten seine Blicke das Pflaster vor dem Gargoyle ab, wo der Tote gelegen hatte. Es war, von der Tür aus gesehen, der Rechte. Natürlich war nichts zu sehen. Wenn da etwas gewesen war, hatte es der Regen längst fortgespült. Müßig betrachtete er die beiden grimmigen, hundeschnauzigen Burschen, die mit ewiger Wachsamkeit auf ihren Steinsockeln thronten. Sie waren eines der wenigen wirklich originellen Geschenke von Barbara. Er entdeckte eine Schramme auf dem Schild, auf das sich der linke Gargoyle stützte. Sie fiel kaum auf, weil sie sich in das angedeutete Wappen einfügte, als gehörte sie zu dessen Relief. Hannes beugte sich vor und sah sich die Kerbe genauer an. Sie glänzte metallisch.
»Wunderbar! Bleiben Sie so sitzen, genau in dieser Denkerpose!« Jenny rief nach dem Fotografen. »Thomas, komm mal rüber, wir machen einen Satz Fotos mit der Figur. Wenn es Ihnen recht ist, Herr Frenzen.«
Der Fotograf legte los. Barbara kam über den Hof, der mißgelaunte Kater hing über ihrem Arm wie ein nasser Putzlappen. Aufstellung zum Familienfoto, während es in Hannes’ Kopf wie verrückt arbeitete.
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