Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
ist all die Jahre ohne das große Geld ausgekommen«, sagte ich. »Hat er in letzter Zeit seinen Lebensstil drastisch verbessert?«
»Nein, im Gegenteil, es hat sich gar nichts verändert: Er geht jeden Tag zur Uni und kommt wieder nach Hause. An den Wochenenden bleibt er zu Hause. Angeblich liest er und guckt Fernsehen. Er leiht sich noch nicht mal Videos aus. Aber schließlich kann keiner wissen, wie der altmodische, eingefleischte Junggeselle reagiert hätte, falls sie ihn betrogen hätte. Jemand, der sich mit mittelalterlichen Romanzen beschäftigt - denk an den Stich ins Herz. Der Typ ist
fünfundfünfzig, Alex.Vielleicht steckte er in der Midlife-Crisis. Und wie schon gesagt, ich habe das Gefühl, dass er etwas verschweigt.«
»Wieso?«
»Kann ich nicht genau sagen, das ist ja das Problem. Er beantwortet meine Fragen, aber erzählt nichts von allein. Er hat Fellows und Paz nicht ein einziges Mal angerufen, um sich nach den Ermittlungen zu erkundigen. Als ich den Fall bekam, habe ich ihn gleich angerufen und hatte den Eindruck, ich würde ihm seine kostbare Zeit stehlen. Als ob es ihn gar nicht interessierte.«
»Vielleicht steht er noch immer unter Schock.«
»Nein, mir kam es eher so vor, als hätte er Wichtigeres zu tun. Wenn jemand, den du liebst, erstochen wird, wie würdest du reagieren? Hör mal, hättest du nicht Lust, ihn dir mal persönlich anzuschauen? Ich will ihm heute Abend einen Überraschungsbesuch abstatten. Aber denk nicht, ich will dich ausnutzen - wenn du noch mehr Zeit in den Fall steckst, kann ich dich wirklich«, er keuchte, »bezahlen.«
Er zog ein zusammengefaltetes Formular aus der Tasche seines Jacketts. »Eine Überraschung von Onkel Milo.«
Ein Beratervertrag mit der Polizei, mein Name auf der gepunkteten Linie. Das Department war bereit, mir ein Maximum von fünfzig Stunden mit weniger als einem Viertel meines üblichen Stundenhonorars zu bezahlen. Das Kleingedruckte begrenzte die Haftung meines Arbeitgebers: Sollte ich auf einer Bananenschale ausrutschen oder erschossen werden, wäre man zwar zutiefst erschüttert, aber knauserig.
»Wie hast du denn das geschafft?«
»Ich habe gelogen und meinem Lieutenant erzählt, ich hätte gehört, militante Feministinnen und Lesben regten sich über die langsamen Fortschritte in dem Fall auf, und
wir müssten unbedingt den Eindruck erwecken, alles Menschenmögliche zu tun, damit wir nicht vor den Polizeiausschuss zitiert werden. Dann habe ich gesagt, militante Feministinnen und Lesben hätten eine hohe Meinung von Psychiatern und würden beruhigt reagieren, wenn wir dich einstellen.«
»Äußerst kreativ«, sagte ich. »Übrigens, trotz deines Verdachtes gegen Seacrest denke ich nach wie vor, du solltest einen unbekannten Wahnsinnigen als Täter ernsthaft ins Kalkül ziehen.«
»Warum?«
»Weil das Muster der Wunden auf einen eiskalten Irren hindeutet. Auf jemanden mit einem tiefen Frauenhass. Hast du überprüft, ob es andere Morde mit ähnlichen Wunden gegeben hat?«
»Ich habe die Morde der letzten drei Jahre in Los Angeles und Umgebung durchgesehen, und da war nichts dabei. Außerdem habe ich die Departments in den Nachbarstaaten angefaxt, aber das haben Paz und Fellows auch schon getan, und es ist nichts dabei rausgekommen. Also, kommst du heute Abend mit, wenn ich Seacrest besuche? Es sei denn, du und Ruth habt andere Pläne - dabei fällt mir ein, ich denke, ich gehe mal rüber und statte ihr und dem Köter einen Besuch ab.«
4
Während wir durch den Garten Richtung Werkstatt gingen, fiel mir auf, wie gebeugt Milo ging. Ich fragte mich, wann er wohl zuletzt richtig geschlafen hatte.
Ruth saß an ihrer Werkbank und bearbeitete den Körper einer Gitarre aus Rosenholz. Bully hatte zu ihren Füßen geschlafen
und blickte mit schiefgelegtem breiten Kopf zu uns auf.
Milo sah ihn gespielt böse an, und Bully stand auf, um sich streicheln zu lassen.
Ruth wischte sich die Hände ab, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab zuerst Milo, dann mir einen Kuss auf die Wange. Sie trug einen Arbeitskittel und darunterT-Shirt und Jeans. Das Haar hatte sie mit einem roten Tuch zurückgebunden. Schutzbrille und -maske, beide staubbedeckt, baumelten ihr um den Hals.
Bully fing an zu bellen und rollte sich auf den Rücken. Ich ging in die Hocke und tätschelte ihm den Bauch, worauf er zufrieden grunzte. Französische Bulldoggen sind Miniaturausgaben ihrer englischen Vettern, aber sie haben Fledermausohren, sind athletischer gebaut und
Weitere Kostenlose Bücher