Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
»Kleinen Moment noch.«
Als die Tür sich wieder schloss, sahen die drei Frauen auf.
Gleich neben mir saß eine junge Schwarze, vielleicht achtzehn Jahre alt, mit riesigen, verletzt dreinblickenden Augen, sorgfältig geflochtener Afrofrisur und zusammengepressten Lippen. Sie trug die Uniform einer Fast-food-Kette und hielt ein Taschenbuch mit beiden Händen fest umklammert. Ihr gegenüber saß offenbar eine Mutter mit ihrer Tochter: beide blond, Tochter fünfzehn oder sechzehn, Mom Ende vierzig mit schwarzem Haaransatz, Tränensäcken unter den Augen; sie machte einen ausgezehrten und bedrückten Eindruck.
Vielleicht hatte Töchterchen etwas damit zu tun. Sie sah mir direkt in die Augen und zwinkerte, dann leckte sie sich über die Lippen.
Sie hatte ein ungewöhnlich schmales Gesicht, eine nicht genau in der Mitte sitzende Nase, tief angesetzte Ohren und einen leicht schlaffen Hals. Ihre Haarfarbe wirkte natürlich, abgesehen von den leuchtend rosa Spitzen. Sie
trug es lang, auftoupiert und dann nach hinten gekämmt. Ihre Shorts bedeckten kaum die dünnen Gesäßbacken, und ein schwarzes, ärmelloses T-Shirt ließ magere Ärmchen, einen flachen Bauch und winzige Schultern sehen. Drei Ohrringe in dem einen, vier im anderen Ohr. Ein eiserner Nasenring, die Haut um den Einstich herum noch immer entzündet. Hohe schwarze Stiefel reichten ihr bis zur Wadenmitte.
Sie zwinkerte erneut. Ihre Mutter sah es und raschelte geräuschvoll mit ihrer Zeitschrift. Das Mädchen lächelte breit und unverfroren. Ihre Zähne waren stumpfe Stifte. Sie winkte mit einem Finger.
Sie schlug die Beine übereinander. Aber nach einem kräftigen Rippenstoß von ihrer Mutter saß sie still und schmollte und starrte auf den Boden.
Die junge Schwarze hatte das Ganze beobachtet. Jetzt widmete sie sich wieder ihrem Buch und rieb sich dabei mit einer Hand über den Unterleib, als hätte sie Schmerzen.
Die Tür öffnete sich erneut. Marge Kowalsky winkte mich herein und führte mich über einen Gang, von dem Untersuchungszimmer abgingen.
»Glück für Sie, dass wir heute einen ruhigen Tag haben.«
Ihr Büro war groß, aber an der Decke waren Schimmelflecken. Bunt zusammengewürfeltes Mobiliar und Bücherregale, die nicht den stabilsten Eindruck machten. Durch die halb hochgezogenen Jalousien hatte man einen streifigen Blick auf den asphaltierten Parkplatz.
Sie ließ sich hinter dem Schreibtisch nieder, der kaum breiter war als ihre Schultern. Zwei Klappstühle. Ich setzte mich auf einen.
»War früher eine Elektronikfabrik. Transistoren oder so was. Ich dachte schon, wir würden diesen Plastikgestank nie los.«
An der Wand hinter ihr hingen zwei Poster: Gertrude Stein und Alice B. Toklas an einem Caretisch. Ein Schädel in der Wüste von Georgia O’Keeffe.
»Sie arbeiten also für die Polizei. Was machen Sie da?« Ich hielt meine Antwort sehr allgemein.
Sie rückte ihre Brille zurecht und bedachte mich mit einem unfreundlichen Lächeln. »Hübsch formulierter Schwachsinn. Tja, ich kann Ihnen auch nicht viel verraten. Die Frauen, die hierherkommen, haben nicht mehr viel, außer dem Recht auf unsere Verschwiegenheit.«
»Ich interessiere mich ausschließlich für Hope Devane.«
Sie lächelte erneut. »Sie denken, ich wüsste nicht, wer Sie sind. Sie sind der Psychoonkel, der mit Sturgis zusammenarbeitet. Und um Ihre Fragen gleich im Voraus zu beantworten: Ja, wir nehmen hier Schwangerschaftsabbrüche vor, falls wir einen Arzt finden, der sie durchführt. Nein, ich werde Ihnen nicht verraten, um welche Ärzte es sich dabei handelt. Und schließlich, Hope Devane hat sich hier nicht sonderlich engagiert, und daher bin ich sicher, ihre Ermordung kann keinesfalls mit dem Zentrum in Verbindung gebracht werden.«
»Nicht sonderlich engagiert«, sagte ich. »Im Gegensatz zu Dr. Cruvic.«
Ihr Lachen hätte Metall ätzen können. Sie öffnete eine Schublade, zog eine Pfeife heraus, wischte über das Mundstück und klemmte es sich zwischen die Zähne. »Mike Cruvic ist ein Arzt mit ausgezeichneten Referenzen, der bereit ist, regelmäßig für Frauen in Not zu arbeiten. Raten Sie mal, wie viele andere hippokratische Würdenträger dazu bereit sind? Wir wurschteln uns hier von Monat zu Monat durch. Das Personal besteht überwiegend aus Krankenschwestern, die in ihrer Freizeit hier arbeiten. Wir haben einen Anrufbeantworter und versuchen, die wirklich dringenden Anfragen
herauszufiltern: Falls Sie im Sterben liegen, sprechen Sie möglichst
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