Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
händeringend stehen. »Nein, vergessen Sie’s, tut mir leid.«
»Wirklich nicht?«, sagte ich und berührte sie sacht an der Schulter. »Was ist denn los?«
»Ich hatte bloß gehofft, wir würden hier endlich einen Psychologen kriegen.«
»Für Ihre Tochter?«
Ihre Hände blieben in Bewegung.
»Haben Sie Probleme mit ihr?«, hakte ich nach.
Sie nickte. »Sie heißt Chenise«, sagte sie zögernd, als ob sie es buchstabieren wollte. »Sie ist sechzehn. Und sie macht mich wahnsinnig. Hat sie schon immer. Ich - sie ist -, ich bin schon überall mit ihr gewesen. Immer teilen sie uns irgendwelchen Studenten zu, und die werden nicht mit ihr fertig. Beim letzten Mal hat sie am Ende bei dem Jungen auf dem Schoß gesessen, und der wusste nicht, was er machen sollte. Die Schulen tun auch nichts. Schon seit sie klein war, hat sie alle möglichen Medikamente genommen, und jetzt ist es … Dr. Cruvic - das ist der Doktor, der sie operiert hat, hat gemeint, sie sollte mal mit einer Psychologin sprechen, und er hat eine hergeholt. Eine Dame. Echt gut, sie hat Chenise gleich durchschaut. Clever. Und natürlich hat Chenise deshalb auch nicht gerne mit ihr geredet. Aber ich hab’ sie gezwungen hinzugehen. Dann...«. Sie senkte die Stimme, »... ist der Psychologin was passiert.« Sie schüttelte den Kopf. »Ach, was erzähle ich Ihnen denn da?«
»Chenise ist operiert worden?«, sagte ich.
»Egal. Ich muss jetzt wieder rein. Wahrscheinlich ist sie gleich durch mit ihrer Untersuchung.«
»Die Psychologin, mit der sie gesprochen hat, war das Dr. Devane?«
»Ja«, sagte sie atemlos. »Dann wissen Sie also, was passiert ist?«
»Das ist sogar der Grund, warum ich hier bin, Mrs.«
»Farney, Mary Farney.« Ihre Augen waren weit aufgerissen. Ebenso blau wie die ihrer Tochter. Hübsch. Das war sie selbst wahrscheinlich auch mal gewesen. Jetzt sah sie so zerstört aus wie jemand, der sich an jeden Fehler seines Lebens erinnern muss.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie.
»Ich bin Psychologe und arbeite manchmal für die Polizei, Mrs. Farney. Und derzeit beschäftige ich mich mit dem Mord an Dr. Devane. Haben Sie -«
Blankes Entsetzen in den blauen Augen. »Denken die, es hätte was hier mit dem Zentrum zu tun?«
»Nein, wir unterhalten uns nur mit allen, die Dr. Devane kannten.«
»Ach so, aber wir haben sie ja eigentlich gar nicht gekannt. Wie gesagt, sie hat Chenise nur ein paarmal behandelt. Ich hab’ sie gemocht. Sie hat sich die Zeit genommen, mir zuzuhören, hat Chenises Spielchen durchschaut, aber mehr war nicht. Ich muss jetzt wieder rein.«
»Was ist mit Dr. Cruvic?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Hat er Chenise verstanden?«
»Klar, er ist großartig. Ich hab’ ihn nicht mehr gesehen, seit - schon eine ganze Weile nicht mehr.«
»Seit der Operation?«
»Gibt ja auch keinen Grund, es geht ihr gut.«
»Von wem wird Chenise heute untersucht?«
»Von Maribel - der Schwester. Ich muss gehen.«
»Würden Sie mir vielleicht Ihre Adresse und Telefonnummer geben?«
»Wozu das denn?«
»Falls die Polizei mit Ihnen reden möchte.«
»Niemals, vergessen Sie’s, ich will nichts damit zu tun haben.«
Ich hielt ihr meine Visitenkarte hin.
»Wozu soll das gut sein?«
»Falls Ihnen noch was einfällt.«
»Mir fällt nichts ein«, sagte sie, aber sie nahm die Karte.
»Danke. Und falls Chenise weiter behandelt werden muss, könnte ich Ihnen einen Kollegen empfehlen.«
»Nee, was bringt das schon? Sie wickelt doch jeden um den Finger.«
Ich fuhr los.
Ein operativer Eingriff. Angesichts von Chenise Farneys offensichtlicher Nymphomanie war nicht schwer zu erraten, um welche Art von Eingriff es sich gehandelt hatte.
Cruvic und Hope hatten bei Abtreibungen zusammengearbeitet.
Hatte Cruvic eine psychologische Beratung verlangt, weil er gewissenhaft war? Oder aus einem anderen Grund?
Ein nymphomanischer Teenager mit niedriger Intelligenz. Eine minderjährige, nicht entscheidungsberechtigte Patientin, vielleicht zu beschränkt, um ihre bewusste Zustimmung zu geben. Hatte Cruvic sich absichern wollen?
Cruvic und Hope …
Holly Bondurant nahm an, die beiden hätten eine Affäre, und Marge Kowalskys barsche Abwehr des Themas schien das zu bestätigen.
Cruvic hatte uns belogen: Holly war sicher, die beiden hatten sich nicht erst auf dem Benefizkonzert kennengelernt, wie er behauptete.
Milo hatte richtig vermutet, es war mehr als eine reine Geschäftsbeziehung gewesen.
Aber gab es da einen Zusammenhang mit dem
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