Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
Mord an Mandy Wright? Wohl kaum.
Der Mordfall in Vegas ließ auf einen fremden Serienkiller schließen.
Ein Psychopath, der noch immer da draußen herumschlich, Frauen beobachtete und plante. Der darauf wartete, unter großen, schönen Bäumen zuzuschlagen.
In einem kleinen Restaurant bestellte ich mir einen vegetarischen Burger und eine Cola. Beim Essen studierte ich die Liste der Studenten, die vor dem Disziplinarausschuss erschienen waren.
Mit dreien von ihnen hatte ich noch nicht gesprochen - eigentlich mit vieren, denn die kurze Begegnung mit der panischen Tessa Bowlby zählte nicht.
Da Reed Muscadine das Studium abgebrochen hatte, spielte sein Stundenplan keine Rolle mehr.
Ich rief bei ihm zu Hause an. Sein Anrufbeantworter meldete sich: »Hallo, hier spricht Reed. Entweder ich bin nicht da, oder ich trainiere und will das Feuer nicht vorzeitig löschen. Aber ich wünsche mir nichts mehr, als mit Ihnen zu sprechen, besonders wenn Sie meine große Chance sind - keuch, keuch. Deshalb hinterlassen Sie doch bitte, bitte, bitte Ihren Namen und Ihre Nummer. Auch hungernde Schauspieler brauchen Liebe.«
Fröhlich, sanft, sonor. Eine Stimme, die von sich wusste, dass sie gut klang.
Falls er HIV-positiv war, so hatte das weder seine Stimmung beeinträchtigt noch seine Versuche, sich fit zu halten. Oder er hatte einfach das Band noch nicht gewechselt.
Hungernder Schauspieler... auch nachdem er den Job in der Seifenoper bekommen hatte?
Oder hatte das doch nicht geklappt?
Er wohnte nicht allzu weit entfernt.Wenn ich Glück hatte, würde ich ihn erwischen, nachdem das Feuer erloschen war, dann konnte ich ihn nach seiner Meinung zu Hope Devane und dem Disziplinarausschuss befragen.
Und wenn ich Riesenglück hatte, würde ich vielleicht herausfinden, was Tessa Bowlby derart in Angst und Schrecken versetzte.
15
Er wohnte in einem weißen, stuckverzierten Häuschen, das davon träumte, ein Schloss zu sein: zwei Türmchen, das größere über der Haustür, das kleinere leicht verkümmert an der rechten Dachspitze. Auf dem Gehweg vor dem Haus rupfte eine alte Frau mit breitkrempigem Strohhut Unkraut aus. Als ich den Motor meines Seville ausmachte, hatte sie sich aufgerichtet und beide Hände in die Hüften gestemmt. Sie trug eine braune Leinenhose mit Knieschonern aus Gummi, hatte eine ledrige Haut und strenge Augen.
»Guten Tag, ich suche Reed Muscadine.«
»Der wohnt hier.« Dann erstarrte sie, als täte es ihr leid, mir zuviel verraten zu haben. »Wer sind Sie?«
Ich stieg aus demWagen und zeigte ihr meinen Polizeiausweis.
»Doktor?«
»Ich bin Psychologe und arbeite für die Polizei.« Ich sah zum Haus hinüber. Über der Garage befand sich eine kleine Wohnung, zu der eine steile, schmale Treppe hinaufführte.
»Er ist nicht da«, sagte sie. »Ich bin Mrs. Green. Mir gehört das Haus.Was ist denn los?«
»Wir ermitteln in einem Mordfall und möchten ihn befragen.
Nicht weil er verdächtigt wird, sondern bloß, weil er das Opfer kannte.«
»Wer ist das Opfer?«
»Eine Professorin an der Universität.«
»Und er hat sie gekannt?«
Ich nickte.
»Seit vierundvierzig Jahren lebe ich nun hier«, sagte sie, »aber ein Opfer habe ich noch nie gekannt. Heutzutage kann man keinen Schritt mehr nach draußen tun, ohne Angst zu bekommen. Der Neffe von einer Freundin von mir ist Polizist, und der hat gesagt, die Polizei kann gar nichts machen, bis jemand verletzt oder umgebracht wird. Er hat ihr gesagt, sie soll sich eine Pistole kaufen und sie immer bei sich tragen. Wenn sie einen damit erwischen, gibt’s bloß eine kleine Geldstrafe. Also habe ich das auch gemacht. Und ich habe mir Sammy ins Haus geholt.«
Sie pfiff zweimal, ich hörte etwas krachend zufallen, und ein großer, wuchtiger, rehbrauner Hund mit traurigem, schwarzem Gesicht kam ums Haus getrabt. Ein Bulldoggengesicht - etwa ein Verwandter von Bully? Aber dieses Tier wog bestimmt fast fünfzig Kilo, und sein Blick war alles andere als freundlich.
Mrs. Green streckte die Hand aus, und der Hund blieb stehen.
»Ein Mastiff?«, fragte ich.
» Bull mastiff. Die einzige Rasse, die speziell dafür gezüchtet wurde, Menschen anzugreifen - in England haben sie damit Jagd auf Wilderer gemacht. Komm her, Schätzchen.«
Der Hund schniefte, senkte den Kopf und ging mit rollenden Schultern zu ihr. Die massigen Gliedmaßen bewegten sich fließend und geschmeidig. Sabber tropfte ihm aus der Schnauze. Die Augen waren klein, fast schwarz und unverwandt auf
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