Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
hatte, sagte sie: »Sie erwartet dich morgen früh um neun im Café Alligator.«
»Ich habe Holly nicht erzählt, worum es dir geht, nur, du seist mein Mann, Psychologe, und du möchtest gerne mehr über das Zentrum wissen. Sie ist eine Altachtundsechzigerin, und das Wort ›Polizei‹ hätte sie vielleicht abgeschreckt.«
»Ich komme bestimmt mit ihr klar.« Ich streichelte ihre Hand. »Es gefällt mir, dein Mann zu sein.«
»Mir gefällt es auch.«
13
Das Café Alligator war ein Ladenlokal in einem alten Gebäude mitten in Santa Monica, zehn Querstraßen vom Strand entfernt. Die Backsteinwände waren sumpfig grün gestrichen, und eine ziemlich angeduselt wirkende Echse schwebte über einem schwarzen Schild, auf dem stand: Teurer Espresso, Billiges Essen.
Drinnen sah ich Wände in derselben Algenfarbe, vier Tische mit gelben Öltuchtischdecken, eine Kuchenvitrine und eine Theke, hinter der verschiedene Kaffee- und Teesorten auf Käufer warteten. Ein dicker, bulliger Mann war mit der Hingabe eines Konzertpianisten damit beschäftigt, Bohnen zu rösten. Aus Lautsprechern an der Decke erklang leise Reggae-Musik.
Am Vorabend hatte ich mir Holly Bondurants letzte LP angehört. Das Album war fünfzehn Jahre alt, aber ich erkannte sie sofort.
Auf dem Plattencover war ihr Haar rötlich blond, ging ihr bis zur Taille und verbarg nahezu ihr schönes, keltisch wirkendes Gesicht. Jetzt war es kurz geschnitten und angegraut, und sie hatte zirka dreißig Pfund zugelegt. Aber ihr Gesicht war noch immer glatt und jugendlich.
Sie trug ein Maxikleid aus rotem Samt, Schnürstiefel und
eine Achat-Halskette. Ein samtener Schlapphut hing auf der Lehne des leeren Stuhls neben ihr.
»Alex?« Sie lächelte, blieb sitzen, reichte mir die Hand und blickte auf ihre halbvolle Kaffeetasse. »Tut mir leid, ich habe schon ohne dich angefangen, aber ich brauche meine Dröhnung. Auch eine Tasse?«
»Gern.«
Sie winkte dem Dicken. Er füllte eine Tasse und brachte sie an den Tisch. »Noch Wünsche, Holly?«
»Vielleicht was zu essen, Alex? Die Muffins sind köstlich.«
»Gut, dann nehme ich ein Muffin.«
»Was für welche habt ihr heute, Jake?«
»Preiselbeere«, sagte der Dicke beinahe mürrisch. »Orange-Rosine und Schoko sind auch nicht schlecht.«
»Dann bring uns von jedem etwas, bitte.« Sie sah mich an. »War schön, mal wieder was von Ruth zu hören, nach so langer Zeit. Sie hat früher alle meine Instrumente verarztet.«
Ihre Stimme war melodisch, und um ihre Augen bildeten sich kleine Fältchen, wenn sie lächelte. Sie redete mit jedem Muskel in ihrem Gesicht, so lebhaft, wie man das von Schauspielerinnen oder anderen Menschen kennt, die von öffentlicher Bewunderung leben.
»Das hat sie mir erzählt.«
»Baut sie noch immer Saiteninstrumente?«
»Und wie.«
Jake brachte meinen Kaffee und ein Körbchen mit Muffins, dann zog er sich wieder zu seinen Bohnen zurück.
Sie nahm ein Preiselbeermuffin und knabberte daran.
»Du bist also Psychologe.«
Ich nickte.
»Das Zentrum hat ständig Bedarf an guten Psychologen. Die Zeiten sind schlecht, und wir bekommen immer weniger Freiwillige. Schön, dass du Interesse zeigst.«
»Eigentlich«, entgegnete ich, »wollte ich nicht deswegen mit dir reden.«
»Ach nein?« Sie legte das Muffin auf den Tisch.
»Ich bin gelegentlich als Berater für die Polizei tätig. Und zur Zeit arbeite ich an einem Mordfall mit. Hope Devane.«
Sie lehnte sich zurück. Ihre Augen konnten nicht kalt wirken, selbst wenn sie wollte, aber sie sah gekränkt aus.
»Polizei«, sagte sie.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich hatte nicht die Absicht, dich hinters Licht zu führen. Aber der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt, und man hat mich gebeten, alles über sie herauszufinden, was ich nur kann.Wir wissen, dass sie als Freiwillige im Zentrum gearbeitet hat.«
Sie antwortete nicht. Jake spürte die Spannung quer durch den Raum und hörte auf, Bohnen zu rösten.
»Hast du Sie mal kennengelernt?«, fragte ich.
Sie studierte die goldbraune Oberfläche des Muffins. Drehte es um. Lächelte zu Jake hinüber, und er nahm seine Arbeit wieder auf.
»Was weißt du über das Zentrum?«, wollte sie wissen.
»Nicht viel.«
»Es wurde gegründet, um armen Frauen eine grundlegende medizinische Versorgung zu ermöglichen: Schwangerschaftsberatung, Ernährung, Krebsvorsorge, Familienplanung. Ich habe ein paar Benefizkonzerte für sie gegeben und ihnen ein paar Sachen beschafft.«
»Materialien?«
»Und
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