Woerter durchfluten die Zeit
Lächeln auf Colins Gesicht vertiefte sich.
»Ihr müsst zugeben, Nathan de Tremaine sieht nicht so aus, als ob er jemanden zum Lachen bringen könnte.«
»Ich schätze, er hat andere Qualitäten«, mutmaßte Marie.
Colin zog nur eine seiner dunkelblonden Augenbrauen hoch und wandte sich wieder dem Herd zu, um sich seiner Soße zu widmen.
»Innere Werte, Mädels«, resümierte er noch.
Jetzt lachten die Drei noch lauter.
«Genau das habe ich gebraucht«, sagte Jules, nachdem auch das letzte Krümelchen der Spaghetti verspeist war. »Danach lässt es sich viel besser arbeiten.«
»Was musst du noch machen?«, fragte Lucy.
»Morgen will ich zwei Hausarbeiten abgeben. Ein bisschen muss ich noch dran rumfeilen.«
»Und ich will Madame Moulin einen Brief schreiben. Es wird mal wieder Zeit«, sagte Lucy.
»Bestell ihr schöne Grüße«, erinnerte Colin sie.
»Wer wäscht ab?«, fragte Marie. Drei Augenpaare richteten sich auf sie. »Schon verstanden.«
Lucy ging in ihr Zimmer und setzte sich an ihren Schreibtisch. Gedankenverloren knabberte sie an einem Bleistift.
Sie hatte Madame Moulin viel zu berichten. Sie wusste nur nicht, wo sie anfangen sollte. Eigentlich hätte sie anrufen können, aber Lucy liebte es, ihre Gedanken auf dem Papier zu ordnen. Sie überlegte, wie viel von den Merkwürdigkeiten, die ihr in den letzten Tagen passiert waren, sie berichten konnte.
Nach kurzer Überlegung beschloss sie, Madame Moulin alles der Reihe nach zu schreiben. Schließlich hatte diese ihr den Job besorgt. Nun sollte sie ihr helfen, damit zurechtzukommen. Außerdem hatte sie Lucys Geschichten schon als Kind immer ernst genommen. Sie würde Lucy nicht für verrückt erklären.
*************
Nathan tigerte in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Er würde mit seinem Großvater über das Problem reden müssen. Denn sie war ein Problem.
Er wusste, wer sie war. Er hatte es in dem Moment gewusst, als sie ihm zum ersten Mal in die Augen geschaut hatte. Sie war die Einzige, die ihn aufhalten konnte. Aber das würde er nicht zulassen. Er musste sich etwas einfallen lassen.
Er hatte diese Augen nicht zum ersten Mal gesehen. Sein Großvater hatte ihm vor langer Zeit ein Bild mit dem Gesicht einer Frau gezeigt. Damals war er ungefähr zwölf Jahre alt gewesen. Nie zuvor hatte er eine so schöne Frau gesehen. Trotz der Ebenmäßigkeit ihrer Züge und der Feinheit ihrer Haut waren das Auffallendste an ihr ihre Augen. Grau mit silbernen Sprenkeln schauten sie ernst in die Welt. Selbst auf dem Bild schienen sie lebendig zu sein und ihn zu mustern.
»Diese Frauen sind unsere ärgsten Feinde«, waren die Worte seines Großvaters. »Präge dir diese Augen gut ein. Ich habe dafür gesorgt, dass keine von ihnen mehr übrig ist. Trotzdem müssen wir wachsam sein. Sollte dir eine Frau mit diesen Augen begegnen, dann musst du auf der Hut sein. Diese Frauen haben die Macht, uns daran zu hindern, unsere Pflicht zu tun.«
Nun hatte er in diese Augen geblickt. Er wusste, dass er seinen Großvater informieren musste, aber etwas in ihm sträubte sich dagegen. Ich habe dafür gesorgt, dass keine von ihnen mehr übrig ist , hatte er damals erklärt. Und bei diesen Worten war Nathan ein eiskalter Schauer über den Rücken gelaufen. Was würde passieren, wenn sein Großvater von Lucys Existenz erfuhr? Nathan hatte den Hass in seiner Stimme nie vergessen. Was hatte diese Frau seinem Großvater angetan? Was konnte das Mädchen mit den grauen Augen ihm antun? Wie sollte sie ihn hindern, seine Aufgabe zu erfüllen? Hinderte sie ihn nicht schon daran? Zwei Tage war er ihretwegen der Bibliothek ferngeblieben. Das war ihm noch nie passiert. Er schüttelte unwillig den Kopf. Das durfte er nicht zulassen. Er musste herausfinden, wer sie war. Sein Großvater hatte doch gesagt, dass es keine mehr von ihnen gab. Also musste er sich getäuscht haben. Diese Ähnlichkeit der Augen war reiner Zufall, versuchte er sich einzureden.
Sein Telefon klingelte.
»Ja?«, meldete er sich.
»Was ist mit Alice? «, blaffte sein Großvater ins Telefon. »Wie weit bist du mit dem Einband? Er müsste längst fertig sein.«
»Ist er auch«, log Nathan.
»Gibt es ein Problem, Junge?«
»Nein, aber dieses Buch ist etwas ganz Besonderes. Es braucht viel Zeit, jedes Detail zu kopieren.«
»Vernachlässige deine Pflichten nicht«, unterbrach sein Großvater ihn mit strenger Stimme.
»Ich gebe mir Mühe.«
»Das erwarte ich auch von dir.«
Dann ertönte das Tuten
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