Woerter durchfluten die Zeit
stand.
«Erzähl mir von ihr«, forderte er dann.
Nathan war klar, wen er mit ihr meinte, doch als er in die kalten schwarzen Augen seines Großvaters sah, sträubte sich etwas in ihm, zu viel von Lucy preiszugeben. Er fragte sich, ob es klug gewesen war, seinem Großvater von ihr zu erzählen. Jetzt war es für diese Überlegung allerdings zu spät. Sorgfältig wog er ab, bevor er sprach.
»Ihr Name ist Lucy. Lucy Guardian.«
Sein Großvater nickte abwesend. »Dieses Natterngezücht ist schlimmer als räudige Katzen. Ich frage mich, wie viele Leben sie noch haben«, fügte er hinzu und Nathan schauderte bei seinem Tonfall, der vor Hass zu glühen schien. Trotzdem zitterte die Stimme des alten Mannes. Wenn es nicht absolut unmöglich gewesen wäre, hätte Nathan vermutet, genauso viel Angst wie Hass in dieser Stimme zu hören.
Bei dem Wort Katzen hatten die Hunde ihre Köpfe gehoben und zu knurren begonnen. Batiste de Tremaine beruhigte sie, indem er ihnen auf den Kopf klopfte.
»Weiter«, blaffte er Nathan dann an.
»Sie arbeitet in London in der Bibliothek. Sie ist dort als Hilfskraft eingestellt. Außerdem studiert sie am King’s College Literaturwissenschaften.«
»Und sie ist dir erst jetzt aufgefallen?« Sein Großvater musterte ihn durchdringend.
»Ja«, antwortete Nathan und erwiderte seinen Blick fest. Eins hatte er gelernt: Wandte er seinen Blick zu früh ab, vermutete der Großvater, dass er log. Wandte er ihn zu spät ab, warf dieser ihm mangelnden Respekt vor. Die Zeit des Blickkontaktes musste genau bemessen sein.
»Ich bin erst seit drei Wochen in London, wie hätte sie mir da auffallen sollen? Sie arbeitet als Urlaubsvertretung für Miss Olive im Archiv«, verteidigte sich Nathan.
»Woher weißt du, dass sie eine Hüterin ist?«
»Sie trägt das Mal«, antwortete Nathan und beobachtete die Reaktion seines Großvaters. Er hatte sich erstaunlich gut unter Kontrolle, lediglich das Mahlen seiner Wangenmuskeln verriet seine Anspannung.
»Die Augen?«, fragte er dann gepresst.
»Grau mit silbernen Sprenkeln. Genau dieselben Augen, wie die Frau auf dem Bild sie hatte, das du mir gezeigt hast. Und dasselbe kupferrote Haar.«
»Du hast es dir gemerkt«, stellte sein Großvater fest und zum ersten Mal klang so etwas wie Anerkennung in seinen Worten mit.
Der Eindruck verschwand sofort wieder, als sein Großvater sich zu Nathan vorbeugte und ihn fest ansah. »Sie darf dich nicht daran hindern, deine Aufgabe zu erfüllen.«
Nathan nickte. »Ich werde mich nicht aufhalten lassen.«
»Das liegt nicht mehr in deiner Hand. Du weißt nicht, welche Kraft eine machtvolle Hüterin haben kann.«
»Wie eine machtvolle Hüterin wirkt sie eigentlich nicht«, erwiderte Nathan und sah Lucy vor sich.
»Hat sie dich erkannt?«
Erstaunt sah Nathan seinen Großvater an. »Wie sollte sie?«
»Wer immer sie dort hingeschickt hat, wird nicht so dumm gewesen sein, sie nicht vor einem de Tremaine zu warnen«, entgegnete Batiste. »Sie muss deinen Namen kennen.«
»Dann ist sie eine begnadete Schauspielerin«, erwiderte Nathan. »Ich bin mir sicher, dass ich für sie lediglich ein normaler Besucher war.«
»Wenn du dich da nicht täuschst. Darauf können wir uns nicht verlassen. Du musst herausfinden, was sie weiß. Ihre Mutter hat mir das Leben zu Hölle gemacht.« Er versank in brütendes Schweigen. »Ich frage mich, wie sie es geschafft haben, das Kind vor mir zu verbergen«, überlegte er dann laut.
Interessiert sah Nathan seinen Großvater an. Dieser dachte jedoch nicht daran, Nathan mehr zu erzählen.
»Wie soll ich herausfinden, was sie weiß?«, fragte er dann. »Soll ich ihr hinterherspionieren oder einen Detektiv auf sie ansetzen?«
»Wie alt ist sie? Achtzehn, neunzehn?«, fragte Batiste de Tremaine und Nathan fragte sich, wie er Lucys Alter so genau kennen konnte.
»Ja, in etwa.«
»Verabrede dich mit ihr«, befahl er. »Führe sie aus. Flirte mit ihr. Verführe sie. Du kannst es und du weißt es. Keine Frau wird dir widerstehen können. Was auch immer nötig ist, du wirst es tun. Finde heraus, woher sie kommt und was sie weiß. Das sollte für dich kein Problem sein.«
Nathan glaubte, sich verhört zu haben. »Ich habe wichtigere Dinge zu tun«, widersprach er steif.
Sein Großvater fuhr mit einer Geschwindigkeit, die Nathan dem gebrechlichen Körper nicht zugetraut hätte, nach vorn. »Du wirst mir gehorchen«, schrie er. Speicheltröpfchen flogen durch die Luft. »Du wirst dieses Problem
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