Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Woerter durchfluten die Zeit

Woerter durchfluten die Zeit

Titel: Woerter durchfluten die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
Vom Netzwerk:
ihren Augen schwammen wieder Tränen. Madame Moulin hielt ihre Hand noch fester.
    »Es tut mir so leid, Lucy. Ich hätte dir so gern etwas anderes gesagt. Ich hätte dir so gern den Brief gebracht, den Ralph dir hinterlassen hat. So habe ich dich der einzigen Möglichkeit beraubt, die Wahrheit zu erfahren.«
    »Kann die Polizei nicht herausfinden, wer bei Ihnen eingebrochen ist und den Brief gestohlen hat?«, fragte Lucy kläglich.
    »Ich befürchte, nein«, antwortete Madame Moulin. »Ich habe Frank sofort angerufen und ihm erzählt, was passiert ist. Er war sehr ungehalten, dass ich ihn angelogen hatte, was den Brief betraf. Nun ist er allerdings sicher, dass der Mörder von Ralph und der Dieb des Briefes ein und dieselbe Person sind. Leider hat niemand im Ort etwas gesehen. Ich vermute, dass wir nie erfahren werden, wer der Täter ist. Vorausgesetzt, es passiert nicht noch etwas«, fügte sie düster hinzu. »Ich mache mir Sorgen um dich, Lucy. Es wäre mir am liebsten, wenn du mit nach Hause kommen würdest. Aber vermutlich wäre es dort zu gefährlich für dich. Schließlich sind beide Straftaten dort geschehen. Wenn ich nur wüsste, was das alles bedeutet.«
    Lucy hört ihr schweigend zu und hielt währenddessen das Medaillon in den Händen. Immer wieder strich sie darüber. Ihre Eltern hatten sie geliebt. Tief in ihrem Inneren war sie immer sicher gewesen, dass ihre Eltern sie nicht aus freiem Willen verlassen hatten. Und wer weiß, vielleicht hatte Madame Moulin unrecht. Vielleicht lebten sie noch. Jetzt, da sie ein Bild der beiden hatte, würde sie nach ihnen suchen, bis sie Gewissheit über ihr Schicksal hatte.
    Erst spürte sie die Hitze gar nicht, die sich an ihrem Handgelenk entwickelte. Es war anders als die Male davor. Nicht schmerzhaft, eher sanft. Sie schob den Ärmel ihrer Bluse zurück und betrachtete das Mal. Die feinen weißen Striche auf ihrer Haut schienen zu leuchten. Dies hier war weit weg von der gruseligen roten Färbung, die es in der Bibliothek angenommen hatte. Das Licht trat in feinen Strahlen aus dem Mal hervor und fand seinen Weg zu dem Medaillon in Lucys anderer Hand. Es wickelten sich behutsam um das Schmuckstück. Lucy lächelte, ganz vertieft in den wunderschönen Anblick. Ihr schien es, als begrüßte das Mal das Geschenk ihrer Eltern.
    Als das Medaillon beinahe vollständig von Licht eingehüllt war, begannen die bunten Edelsteine an den Spitzen des Kreuzes zu strahlen. Geistesgegenwärtig warf Madame Moulin eine Serviette über Lucys Arm und das Leuchten erlosch.
    Lucy erwachte wie aus einer Trance. »War das nicht wunderschön?«, fragte sie. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
    »Ich schätze, niemand hat so etwas je gesehen, Lucy.« Madame Moulins Stimme klang hektisch. Sie zog Lucys Bluse über das Handgelenk.
    »Der Sache sollten wir später auf den Grund gehen«, bestimmte sie. »Du hast mir geschrieben, dass merkwürdige Dinge in der Bibliothek geschehen. Erzähl mir davon.«
    Und so erzählte Lucy, während sie ein riesiges Stück Pflaumenkuchen verspeiste, Madame Moulin von den seltsamen Begebenheiten, die ihr zugestoßen waren, seit sie im Archiv arbeitete.
    Nachdem Lucy geendet hatte, schwiegen beide.
    »Wir müssen herausfinden, was da mit dir passiert und wie das alles zusammenhängt«, sagte Madame Moulin nach einer Weile.
    »Tut es das denn?«, fragte Lucy.
    »Du hast dieses kleine Buch auf deinem Handgelenk. Deine Eltern hinterlassen dir ein Medaillon in Form eines Buches. Bücher sprechen mit dir oder verschwinden und nur du kannst dich an sie erinnern. Die Bücher, Lucy, sie haben dich gesucht und gefunden.«
    Lucy blickte Madame Moulin an und wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Alles hing miteinander zusammen.
    »Hast du in London jemandem von der Sache erzählt?«, frage Madame Moulin.
    Lucy schüttelte den Kopf.
    »Auch nicht Colin?«
    Wieder Kopfschütteln. »Ich wollte, aber irgendwie gab es dafür noch nicht den richtigen Augenblick. Und Jules und Marie habe ich es nicht erzählt, weil ich nicht will, dass sie mich seltsam finden«, erklärte sie.
    Madame Moulin lächelte verständnisvoll.
    »Du hattest noch nie zwei so gute Freundinnen wie die beiden«, stellte sie fest. »Aber gut. Es weiß also niemand außer uns von der ganzen Sache?«
    Unbehaglich rutschte Lucy auf ihrem Stuhl hin und her.
    »Raus mit der Sprache. Wem hast du davon erzählt?«
    »Nathan. Nathan de Tremaine. Ich kenne ihn noch nicht sehr lange, aber ich … ich vertraue ihm. Er

Weitere Kostenlose Bücher