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Woerter durchfluten die Zeit

Woerter durchfluten die Zeit

Titel: Woerter durchfluten die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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zum Haus hinauf. »Wir sind da.«
    Nathan trat näher an sie heran. Dunkelheit hüllte die Stadt ein und nur wenige Laternen spendeten in der schmalen Straße Licht. Nathans Augen funkelten auf Lucy herab. Sein Blick war ernst und dunkel. Sie spürte seinen Herzschlag. Er war viel zu nah, aber es fühlte sich gut an. Sie blickte in sein Gesicht. Zum ersten Mal fielen ihr die Linien auf, die von seinen Nasenflügeln zu seinen Mundwinkeln verliefen. Er sorgt sich um etwas, dachte sie.
    »Darf ich dich küssen?«, fragte er unvermittelt.
    »Du fragst?« Lucy biss sich auf ihre Unterlippe.
    »Sieht ganz so aus.« Doch er wartete ihre Antwort nicht ab.
    Seine Lippen berührten Lucys. Zart wie Schmetterlingsflügel schmiegten sie sich auf ihre Haut. Es reichte aus, um Lucy aus dem Gleichgewicht zu bringen. Alles in ihr begann zu zittern. Sie legte ihre Arme um seine Taille, eher um sich festzuhalten, weniger um nach mehr zu verlangen. Doch Nathan verstand die Geste falsch. Der Druck seiner Lippen wurde stärker, fordernder. Lucy öffnete ihren Mund und seine Zunge glitt forschend hinein. Ein intensives Gefühl bemächtigte sich ihrer und breitete sich in ihrem gesamten Körper aus. Nathan griff mit einer Hand in ihren Nacken und zog sie enger zu sich heran. Lucys Hände glitten unter seinen Mantel und über seinen Rücken. Sie spürte seine Muskeln unter dem dünnen Hemd, seine heiße Haut. Hitze raste durch ihren Körper. War das seine Art, Abschied zu nehmen? Der Kuss fühlte sich unglücklich an und verzweifelt.
    Das Zeichen auf ihrem Handgelenk fing mit so einer Intensität an zu brennen, dass ihr schwindelig wurde. Sie brauchte Luft. Ohne es zu wollen, entzog sie sich Nathans Umarmung. Verwirrt und heftig atmend sah er sie an.
    »Entschuldige«, flüsterte er. »Das war vielleicht etwas zu …« Er suchte nach dem richtigen Wort. Er wirkte benommen. Als hätte Lucy ihn aus einer anderen Welt zurückgeholt.
    Lucy streckte ihre Hand nach ihm aus, wollte über seine Wange streicheln, ihn wieder an sich ziehen. Das Zeichen pulsierte heftiger.
    Licht drang aus ihrem Ärmel hervor. Licht drang aus dem Medaillon, das auf ihrer Brust ruhte.
    Und dann geschah es: Licht drang auch unter dem Ärmel von Nathans Mantel hervor. Es war nicht so klar und warm wie Lucys, sondern hatte eher die Farbe von eisblauem Wasser. In heftigen Wirbeln erhob es sich und suchte seinen Weg zu Lucys Handgelenk. Alle drei Lichter verwoben sich miteinander und plötzlich waren in ihrer Mitte schemenhafte Bilder zu erkennen. Lucy konnte ihren Blick nicht von dem Schauspiel wenden. Sie verstand nicht, was da gerade geschah.
    Nathan zerriss den Moment. Er zog Lucy ein letztes Mal an sich und lief ohne ein weiteres Wort davon.
    Lucy blickte auf das Licht, das sich zurückzog. Sie sah ihm nach.
    »Nathan«, schrie sie ihm hinterher. »Nathan?«
    Er hielt nicht an.
    Was war gerade geschehen? Es gab dafür nur eine logische Erklärung. Lucy wirbelte herum und lief ihm nach. Er würde ihr sagen, was passiert war. Er musste es ihr erklären. Sie würde ihm hinterherlaufen, auch wenn es ewig dauerte.
    Lucy rannte, so schnell sie konnte. Trotzdem verlor sie ihn aus den Augen. Selbst um diese Zeit waren noch viele Menschen auf den Straßen unterwegs. Sie blieb stehen, um Luft zu holen und sich nach Nathan umzusehen. Doch sie konnte seine vertraute Gestalt nirgendwo ausmachen. Ob er in eine der U-Bahn-Stationen hinabgestiegen war? Er konnte sich nicht vor ihr verstecken. Wenn sie ihn heute Nacht nicht fand, dann würde sie ihn morgen suchen und übermorgen. Er würde mit ihr reden. Sie hatte ihm so viel anvertraut. Konnte es sein, dass er mehr wusste, als er zugab? Er hatte selbst ein Licht. Hatte er auch ein Mal? Wer war er? Was wusste sie eigentlich von ihm?
    Lucy beschloss, zu seinem Haus zu laufen. Vielleicht war er dorthin gegangen. Sie würde auf ihn warten.
    Vor dem dreistöckigen weißen Haus zögerte sie. Bis auf eine kleine Lampe im Fenster neben der Haustür brannte kein Licht. Bevor sie es sich anders überlegen konnte, drückte sie auf die Klingel. Es dauerte eine Weile, bis sich hinter der Tür etwas regte. Dann stand Lucy einer kräftigen älteren Dame gegenüber, die einen rosafarbenen Morgenmantel trug. Sie musterte Lucy von Kopf bis Fuß.
    »Ich möchte zu Nathan de Tremaine«, stammelte Lucy.
    Der Blick der rosa Dame wurde nicht gerade freundlicher.
    »Mr. de Tremaine ist ausgegangen und noch nicht zurück«, informierte sie Lucy und schlug ihr

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