Woerter durchfluten die Zeit
Vorschein. Das Kind schlug seine Augen auf. Auch sie waren grau mit silbernen Sprenkeln. »Meine anderen Kinder haben sie mir genommen, obwohl Elisabeth nicht einmal die Gabe besitzt. Meine Söhne werden sie zu treuen Anhängern des Bundes machen. Du weißt, dass sie das auch mit ihr tun würden.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich hätte so gewünscht, dass Edmund seine kleine Tochter noch sieht. Der Bund würde sie benutzen, um den Menschen das Wissen zu rauben, so wie sie mich benutzt haben. Sie sind gierig geworden und haben jedes Maß verloren. Ich muss etwas dagegen unternehmen. Das ist nicht unsere Bestimmung. Ich werde nicht zulassen, dass sie meinem Kind das antun. Ich werde sie fortbringen. Du weißt, was zu tun ist. Du musst sie davon überzeugen, dass ich und das Kind bei der Geburt verstorben sind.«
Der alte Mann seufzte. »Wenn das Euer Wunsch ist, Countess. Ich habe Euch seit Eurer Geburt gedient. Es fällt mir schwer, Euch allein ziehen zu lassen, aber ich glaube, Ihr habt recht. Ich werde versuchen, die Perfecti von Eurem Tod zu überzeugen. Aber ich weiß nicht, ob sie mir glauben werden.«
Philippa griff nach der Hand des Alten. »Ich brauche nur ein paar Tage Vorsprung. Ich habe für alles gesorgt. Es wird uns an nichts fehlen, glaub mir.«
Das Bild verschwamm und ein neues entstand. Es war finstere Nacht. Der alte Mann hielt ein Pferd am Zügel und führte es über einen Burghof. Philippa folgte ihm, das Kind fest an sich gedrückt. Überall lag Schnee und unter den Hufen und Stiefeln knirschte es eisig.
»Der Proviant ist in den Satteltaschen. Ich denke, er reicht mehrere Tage«, erklärte der Mann flüsternd.
Sie blieben stehen und sahen zu den düsteren Zinnen der Burg hinauf.
»Auf dieser Burg habe ich die glücklichsten Jahre meines Lebens verbracht«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Diener. »Hierhin folgte ich Edmund mit kaum dreizehn Jahren. Damals hätte ich nicht gedacht, dass wir uns eines Tages so zugetan sein würden. Er hat mich verstanden. Er wusste, dass ich einen anderen Weg beschreiten musste als die Frauen des Bundes vor mir. Kurz vor seinem Tode hat er zu mir gesagt: ‚Du musst eine Hüterin werden, Philippa. Du wirst das Wort für die Menschen schützen müssen und nicht für den Bund. Gott hat euch nicht mit dieser Gabe gesegnet, damit Weisheit und Wissen einigen wenigen vorbehalten sind. Der Bund heute ist nicht besser als die Männer, die ihn einst verfolgt haben.’«
Ihr Diener schwieg.
»Möge Gott Euren Weg beschützen«, sagte er zum Abschied.
»Das wird er«, erwiderte Philippa mit fester Stimme. »Ich bin ganz sicher.«
Dann schwang sie sich in den Sattel und der Alte reichte ihr das Kind.
Ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, ritt sie durch eine Seitentür, die der Mann für sie öffnete. Sie sah seine Tränen nicht, während er seiner Herrin nachsah und stumm das Vaterunser murmelte.
Erst als sie den Waldrand, auf den sie zuritt, fast erreicht hatte, zügelte sie das Pferd und sah zurück.
«Ich hoffe, dass du recht hast, Edmund«, murmelte sie. »Möge Gott mich lenken und mir den richtigen Weg weisen. Und so er will, werde ich zur Hüterin werden und unser Kind und unsere Kindeskinder nach mir.«
Dann zog sie an den Zügeln, ritt los und verschwand in der Dunkelheit des Waldes.
Das Licht verschwand und Lucy kehrte zurück in die Gegenwart. Gebannt von dem, was sie gesehen hatte, blieb sie einen Moment sitzen.
»Ich bin nicht sicher, ob ich jetzt schlauer bin als vorher«, sagte sie gedämpft und stand auf.
In ihrem Büro setzte sie sich auf ihren Stuhl und starrte gedankenversunken auf den Bildschirm, ehe sie zu tippen begann.
»Hüterin.« Nichts, was die Suchmaschine anzeigte, erschien ihr hilfreich.
Wie war Philippas Mädchenname gewesen? Lucy tippte mit fliegenden Fingern Philippa Plantagenet.
Die Plantagenets waren eine der bedeutendsten Dynastien Englands im Hochmittelalter gewesen. Obwohl sie ursprünglich französische Wurzeln hatten, hatten sie über mehrere Jahrhunderte die Könige Englands gestellt, so viel wusste Lucy. Von einer Philippa hatte sie nie gehört, was nicht weiter verwunderlich war, denn Frauen zählten damals ohnehin nicht viel.
Dieser Suchbegriff lieferte ihr tatsächlich zahlreiche Ergebnisse. Sie klickte auf den Eintrag von Wikipedia und las: Philippa Plantagenet, 5. Countess of Ulster, (* 16. August 1355; † 5. Januar 1382) war die einzige Tochter von Lionel of Antwerp, 1. Duke
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