Woerter durchfluten die Zeit
dem Großen, die riesige Bibliothek von Lissabon mit über 70.000 Büchern. Viel zu oft gab es Zeiten, in denen Bücher offiziell verbrannt wurden. So viele Bücher, die unwiederbringlich verloren sind.«
Lucy sah auf. »Was habe ich damit zu tun?«, fragte sie zögernd, obwohl sie die Antwort längst wissen musste.
»Das weißt du doch, Lucy. Die Bücher haben dich gefunden. Du bist ein Kind des Bundes.« Nathans Stimme klang eindringlich. »Es ist deine Aufgabe, die Bücher zu schützen. Vor über sechshundert Jahren sind die Kinder des Bundes getrennt worden, doch das war nicht recht.«
Nathan schwieg und dachte kurz nach. Er hatte eine Lösung gefunden. Eine Erklärung für Lucy.
»Philippa Plantagenet wurde von der Kirche entführt und in einem katholischen Kloster gefangen gehalten, genau wie ihr Kind. Die Kirche hat die Frauen gezwungen, gegen den Bund zu arbeiten. Nur den Männern ist es zu verdanken, dass der Bund bis heute besteht und seiner Aufgabe nachkommt. Du, Lucy, kannst das Geschick des Bundes wenden und alles gutmachen. Du kannst dafür sorgen, dass wir unsere Stärke zurückerlangen und die Aufgabe fortführen. Wir zusammen könnten viel mehr Bücher vor der Ignoranz der Welt retten, als ich es allein vermag. Wir beide zusammen würden Großes vollbringen.«
Nathan war, während er sich in Rage geredet hatte, stehen geblieben. Er blickte sie an und strich unvermittelt über ihr kaltes Gesicht. Ihre Haut prickelt unter seinen heißen Fingern.
»Heute ist das, was wir tun, wichtiger denn je. Ich schütze die Bücher und verberge sie, damit ihre Worte nicht verloren gehen. Es gibt so viele besondere Bücher. Ihre Worte vermögen es, die Menschen zu beflügeln, wenn die Zeit reif dafür ist. Früher schützten wir die Bücher vor der Kirche und den Königen. Heute schützen wir die Bücher vor den Menschen selbst. Nur noch wenige erkennen den Zauber, der von Büchern ausgeht. Nur noch wenige Menschen erkennen ihren Wert. Wenn wir diese einzigartigen Werke nicht schützen, dann werden sie vergessen. Die Bücher werden nicht mehr gedruckt, da die Menschen immer weniger lesen. Das Wort hat seinen Wert verloren. Aber es wird der Tag kommen, an dem die Menschen erkennen werden, was dieses Wissen bedeutet, und dann werden wir es zurückgeben.«
Lucy schüttelte ihren Kopf und wollte etwas erwidern. Doch Nathan ließ sie nicht zu Wort kommen.
»Es sind Menschen verbrannt worden, um dieses Vermächtnis zu schützen. Jahrhundertelang suchte die Kirche, Könige oder Schatzjäger nach dem legendären Schatz der Katharer. Niemand hat verraten, dass zwei Kinder der wirkliche Schatz waren. Und wir beide, Lucy, wir sind die Nachfahren dieser Menschen. Wir sind es ihnen schuldig, die Aufgabe fortzuführen. Sie haben ihr Leben dafür gegeben. Verstehst du?«
Der Griff seiner Hände war schmerzhaft. Lucy sah in sein leidenschaftliches Gesicht und ja, sie verstand ihn. Verstand, dass er sich einer Aufgabe mit einer Hingabe widmen konnte, zu der nur wenige Menschen fähig waren.
Trotzdem nagten in ihrem Hinterkopf Zweifel. Zweifel an der Richtigkeit seiner Worte. Etwas von dem, was er sagte, war falsch. Sie musste darüber nachdenken. So viele Fragen waren offen.
»Wieso hast du es mir nicht gleich erzählt? Du wusstest, wie viel Angst mir das alles machte. Und du warst der Einzige, der mir hätte sagen können, was mit mir passiert. Weshalb ich die Bücher höre, weshalb ich ihren Schmerz fühle. Du hast es nicht getan.« Ihre Worte klangen anklagend. Sie hatte so viel gegrübelt, hatte gezweifelt und er hätte ihr an dem Tag, an dem er ihr Mal das erste Mal sah, alles erklären können.
»Ich hatte Angst, dass du es nicht verstehst«, sagte er sanft und zog sie zu sich heran. »Ich bin für diese Aufgabe erzogen worden. Mein Großvater hat mich gelehrt, dem Bund zu folgen. Ich habe befürchtet, dass du mich auslachst, mir nicht zuhörst. Erst jetzt bin ich sicher, dass du mich verstehst.« Nathan schwieg.
Philippas Bild stieg vor Lucys innerem Auge auf. Philippa, die schon als kleines Mädchen behauptet hatte, dass es falsch war, was der Bund tat. Philippa, die ihr Kind vor den Männern des Bundes in Sicherheit brachte. Philippas Worte klangen in ihr: »Das Wissen und die Weisheit der Bücher dürfen nicht länger verborgen werden. An Worten sollen die Seelen der Menschen emporwachsen, Worte sollen die Waffen der Zukunft sein.«
»Ich bin nicht sicher, ob du recht mit dem hast, was du sagst«,
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