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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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bleiben?«
    »Ich muss morgen arbeiten.«
    Der Rest blieb unausgesprochen. Ich dachte, sie würde mich um ein Wiedersehen bitten, doch glücklicherweise tat sie das nicht. Sie wirkte traurig, aber daran konnte ich auch nichts ändern. Sie hatte nichts falsch gemacht, sie erfüllte nur eine Voraussetzung nicht.
    Sie hing mit unbändiger Lust am Leben. Und das war zweifellos eine Enttäuschung.

 
    Annabel
    Sam kam fast täglich vorbei. Als er mich die ersten Male besuchte, starrte ich nur auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand, während er mir Fragen stellte. Manchmal stellte ich mich schlafend. Doch nach ein paar Tagen fand ich es ganz nett, dass er mich besuchte, und freute mich sogar darauf. Ich glaube, das war der Zeitpunkt, an dem ich mich allmählich wieder besser fühlte, denn ich hatte wieder Lust, mich zu unterhalten.
    »Warum bist du hier?«, fragte ich. »Musst du nicht arbeiten?«
    »Ich kann auch später noch zur Arbeit gehen«, sagte er. »Wie geht es dir?«
    Ich hatte keine Antwort darauf, weil ich nicht wusste, wie ich es beschreiben sollte. Oder besser gesagt, ich fühlte gar nichts, nur eine leichte Enttäuschung, weil ich noch hier war.
    »Annabel?«
    Ich sah ihn an, mir war klar, dass er meinen Namen gesagt hatte und ich antworten sollte. »Was?«
    »Möchtest du wissen, wie die Ermittlungen laufen? Andrew Frost hat gesagt, er sei vorbeigekommen, um dich auf dem Laufenden zu halten.«
    Ich versuchte mich zu erinnern, ob mich sonst noch wer besucht hatte, aber alles war so verschwommen. Ich sah wieder auf die Uhr. Tagaus, tagein wartete ich darauf, dass die Zeiger senkrecht standen, es sechs Uhr schlug und irgendwas passierte. Ich erwartete Erleichterung, Stille, ein Gefühl des Friedens. Doch ich wurde enttäuscht, und um fünf nach sechs begann das Warten aufs Neue.
    Die Uhr zeigte zwanzig nach elf. Ich hätte am liebsten geschlafen, aber bald war Mittagessenszeit, und außerdem kam sowieso ständig jemand vorbei, der mich weckte, wenn ich zu schlafen versuchte. Auf der Station gab es Regeln, und eine davon lautete, dass nur nachts geschlafen werden durfte. Trotz der Geräusche, Rufe und Schreie.
    »Frosty hat gesagt, dass sie dich dringend brauchen, Annabel.«
    »Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte ich.
    »Sie haben so viele Fragen an dich. Was ist mit deinem Handy passiert? Wer hat dir das andere Handy gegeben?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Annabel, du musst jemanden getroffen haben, der dir ein Handy gegeben und dir deines weggenommen hat. Kannst du dich daran erinnern?«
    Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren und ihm eine Antwort zu geben, damit er aufhören würde, mir Fragen zu stellen, doch da war nichts – ich spürte nichts als eine angenehme Dunkelheit, Wärme, einen Platz, an dem alles in Ordnung war, bis man mich herausgerissen und an diesen weißen, lauten und kalten Ort gebracht hatte.
    »Ich kann mich an nichts erinnern.«
    »Hast du das Haus verlassen? Hast du irgendwo jemanden getroffen?«
    Die Krankenschwester kam herein und unterbrach ihn. Er saß ruhig da und lächelte sie an, während sie nach mir sah. »Annabel, Sie sind heute ja richtig gesprächig, oder? Das ist gut. Wollen Sie nach draußen, ein wenig spazieren gehen?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ihr Bekannter könnte Sie ja begleiten.«
    »Ja«, sagte Sam schnell. »Ich könnte eine Weile mit dir rausgehen. Was hältst du davon?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich.
    »Es ist ein herrlicher Tag. Ein wenig frische Luft würde dir guttun.«
    Die Krankenschwester half mir in einen Rollstuhl, obwohl ich aus eigener Kraft gehen konnte. Vielleicht ahnte sie, dass ich sonst weggelaufen wäre.
    Sam schob mich durch die Brandschutztür hinaus in einen viereckigen Hof, der von Gebäuden umgeben war; hier gab es keine Möglichkeit zu entkommen, selbst wenn ich aufgestanden und losgerannt wäre. Er schob mich in die Sonne, ich legte meinen Kopf in den Nacken und spürte die Wärme auf meinem Gesicht. Eine Brise fuhr durch mein fettiges, juckendes Haar – sonst aber war ich sauber, man hatte mich am Tag zuvor unter die Dusche gesteckt; ich hatte dort gestanden, bis man mich wieder rausholte.
    »Da war ein Regenbogen«, sagte ich.
    »Was?«
    »Ich habe einen Regenbogen gesehen. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Und an den Engel.«
    »Einen Engel?«
    Kapiert er denn nicht, dass das eine Metapher sein soll, dachte ich. Es war mein Engel; er würde niemandem sonst erscheinen. Was die anderen betraf, so hielten sie meinen

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