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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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Engel für ein Hirngespinst, nur ich wusste, dass es ihn tatsächlich gab. Er war es gewesen, der alles verändern konnte, der zu mir gekommen war, als ich ihn so dringend brauchte, als ich verzweifelt, alleine und traurig war. Er war zu mir gekommen und hatte mir den Weg gezeigt, den ich beschreiten sollte. Sam hatte ganz offensichtlich keinen Engel; er tat mir leid.
    »Er ist nicht echt«, sagte ich und versuchte ihn zu trösten. »Nichts davon ist echt. Das weißt du.«
    »Woher weißt du, dass es ein Engel war?«, fragte er. Seine Stimme klang ruhig.
    »Er hat dafür gesorgt, dass ich mich besser fühlte. Er hat alle Last von mir genommen.«
    »Was hat er gesagt, weißt du das noch?«
    »Er hat gesagt, es sei alles in Ordnung. Er hat gesagt, ich solle nach Hause gehen und mir keine Sorgen machen.«
    »Hat er dir was zu essen oder zu trinken gegeben?«
    Ich musste lachen und hustete. »So ein Engel war das nicht.«
    »Dann fürchte ich, dass er kein guter Engel war, Annabel.«
    Ich öffnete die Augen, blinzelte ihn an und versuchte mich an das Licht zu gewöhnen, bis ich sein Gesicht sah. Zum ersten Mal blickte ich ihn richtig an, und plötzlich fiel mir wieder ein, dass ich ihm auch schon außerhalb des Krankenhauses begegnet war und wie sehr ich mich über seine Aufdringlichkeit geärgert hatte, dass er aber auch dafür gesorgt hatte, dass ich mich nach Moms Tod besser fühlte. Er hatte ein freundliches Gesicht, und seine Augen erinnerten mich an die meines Vaters; sie lächelten, selbst wenn er ernst war. Er ist nett, dachte ich. Es war nett von ihm, dass er mich immer wieder besuchte.
    »Wie meinst du das?«
    Er saß auf einer Bank, mein Rollstuhl stand gleich rechts neben ihm, sodass er rübergreifen und meine Hand nehmen konnte, die auf meinem Schoß lag. Seine Hand war warm, sein Griff fest.
    »Vielleicht hat er nur so getan, als ob er dir helfen wollte? Vielleicht hat er nur vorgegeben, ein Engel zu sein?«
    Meine Antwort kam ganz automatisch. »Ich kann mich an nichts erinnern.«
    Er versuchte es erneut. »Weißt du, wo du gerade bist?«
    Ich sah mich um und blickte zu den umstehenden Gebäuden und dem Fleckchen Grün dazwischen. »Das ist ein Krankenhaus«, sagte ich. »Ich glaube, das ist ein Krankenhaus.«
    »Richtig«, sagte er. »Du bist hier, weil du alleine in deinem Haus warst und anscheinend vier Tage lang weder etwas gegessen noch etwas getrunken hattest.«
    Ich hörte, was er sagte, aber seine Worte ergaben keinen Sinn für mich. Ich hatte weder Hunger noch Durst verspürt. Ich hatte nur schlafen wollen, gehofft, dass alles vorüberging und man mich in Ruhe lassen würde. Aber jetzt war alles anders, nicht wahr? Jetzt schien die Sonne auf mich herab.
    »Du wolltest dich offenbar zu Tode hungern.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht wahr.«
    »Das habe ich ihnen auch gesagt. Ich sagte, du wärest mit einer Ermittlung beschäftigt gewesen und hättest viel um die Ohren gehabt – du hattest eine schwere Zeit, deine Mom war gerade erst gestorben, aber du wolltest nicht sterben. Du wolltest dich doch nicht umbringen, oder?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich wollte nur schlafen.«
    »Sie glauben, dass du dich umbringen wolltest. Darum bist du hier.«
    »Ich wollte nur schlafen«, wiederholte ich.
    Ich konzentrierte mich, und plötzlich fielen mir wieder ein paar Dinge ein.
    »Ich erinnere mich, dass er mich besucht hat«, sagte ich.
    »Wer? Der Mann?«
    Ich lachte höhnisch auf. »Nein, Frosty. Ich erinnere mich jetzt, dass er hier war … Er hat sich an mein Bett gesetzt und wollte wissen, warum ich ihm nichts davon erzählt habe, dass ich so deprimiert bin.«
    »Annabel, er ist nett. Er glaubt, dass du schwere Zeiten hinter dir hast.«
    »Ich wusste nicht mal, dass sich eine Depression so anfühlt.«
    Er runzelte die Stirn, beugte sich nach vorne und blickte auf den Boden. »Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen. Viele Leute leiden unter Depressionen. Es ist nicht leicht, darüber zu reden.«
    Ich beobachtete ihn und fragte mich, warum mir in den Tagen, als ich alleine war, nie der Gedanke gekommen war, dass ich Sam nicht mehr sehen würde.
    »Wenn du entlassen wirst, kannst du bei mir wohnen, wenn du möchtest«, sagte er.
    »Nein, danke«, sagte ich automatisch.
    »Ich glaube kaum, dass sie dich sonst nach Hause lassen, jedenfalls nicht in nächster Zeit. Aber wenn du eine Weile bei mir bleibst, entlassen sie dich vielleicht früher. Wir hätten dich gerne als Gast, auch wenn du

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