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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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zur Fossilisationslehre: der Wissenschaft von den Prozessen, die ein menschlicher oder tierischer Organismus nach dem Tod durchlaufen. Zum Fossilisationsprozess gehört nicht nur die Zersetzung, von der es insgesamt und je nach Lehrbuch vier oder fünf anerkannte Stadien gibt (frisch, aufgebläht, verwest – bisweilen auch noch unterteilt in aktive Verwesung oder »feuchte« Verwesung sowie fortgeschrittene Verwesung und Austrocknung), sondern auch äußere Einflüsse. Deshalb werden auch Verzehr durch Aasfresser und Maden, Verbrennung und Kannibalismus oft als Fossilisationsprozess beschrieben.
    Mich hat schon immer fasziniert, welche Rolle die Natur hier spielt. Sollte man das menschliche Zutun vom Fossilisationsprozess trennen, weil es ein Eingriff in die Natur ist? Ich glaube, man kann tierisches Aasfressen mit Fug und Recht dazuzählen, da Tiere den natürlichen Instinkt verspüren, Aas zu fressen, aber was ist mit Kannibalismus? Es wäre schön, wenn man das Wirken der Natur ohne menschliches Einwirken beobachten könnte. Andererseits greift der Mensch inzwischen ja überall ein. Selbst eine Leiche, die ungestört an einem abgeschiedenen Ort liegt, ist vor menschlichen Eingriffen nicht gefeit. Treibhauseffekt, Ozonloch, saurer Regen – das alles beeinflusst den Verwesungsprozess genauso wie die natürlichen Faktoren. So wird es beinahe unmöglich, natürliche von künstlich eingeleiteten Prozessen zu unterscheiden.
    Ich wünschte, ich könnte mit jemandem darüber reden. Würde mein Vater noch leben, hätte ihn das bestimmt interessiert. Auch ihn faszinierte die Natur, ich glaube, dass ich mein Interesse dafür von ihm geerbt habe. Auf den langen Sonntagsspaziergängen, auf denen meine Mutter bestand, sprach er mit mir über Synchronizität und das herrlich poetische und kreative System von Leben und Sterben. Alles dient einem Zweck, alles hat seinen Platz, ein Recht auf Existenz und eine Funktion. Geburt, Leben, Tod, ein endloser Kreislauf, ein Tanz, dessen Schritte völlig natürlich vollzogen werden. Da gibt es kein Chaos, keine Verschwendung, nichts ist fehl am Platz. Jede Veränderung geschieht genau im richtigen Moment und aus dem richtigen Grund heraus.
    Vaughn rief mich heute früh bei der Arbeit an, um unsere Verabredung am Mittag zu verschieben. Er war noch zu Hause, weil er es nicht zur Arbeit geschafft hatte. Offenbar hat Audrey sich endgültig von ihm getrennt, und Vaughn ist zu aufgewühlt, um an irgendwas anderes zu denken.
    »Ich verstehe es einfach nicht«, klagte er am Telefon. »Wir kamen so gut miteinander aus.«
    Ich war versucht, ihm zu sagen, dass sein Vorschlag eines romantischen Wochenendes in Weston-super-Mare wohl der Anfang vom Ende gewesen sei, verkniff es mir aber.
    Ich habe keine großen Skrupel, wenn ich daran denke, dass ich Audrey Vaughn »klaue«, obwohl mich der Gedanke an ihren Körper und wer ihn zuletzt berührt hat ein wenig verstört, wenn ich zu sehr darüber nachdenke. Doch der Gedanke, dass sie jetzt Single ist und vermutlich ein wenig Trost braucht, lässt mich nicht mehr los.
    Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Vor Justine hatte ich mich doch schon einmal nach einer Freundin gesehnt. Will ich das jetzt wieder? Langweilt mich dieser Totentanz, will ich zurück in das unberechenbare, verwirrende Leben? Natürlich will ein Teil von mir sie vögeln. Ein Teil von mir will das ganz sicher. Aber das ist nicht alles.
    Bei all meinem Umgang mit den depressiven, schwachen und verstörten Menschen habe ich schnell gelernt, dass meine Technik nicht funktioniert, wenn der Betreffende sich nicht schon selbst Gedanken über den Weg gemacht und bereits ein paar Schritte darauf gegangen ist. So ausgefeilt meine Technik auch sein mag – es funktioniert einfach nicht. Da wurde mir klar, nach welchen Kriterien ich die Leute auswählen musste. Jetzt weiß ich, warum alles inzwischen so langweilig wirkt. Das liegt nicht nur daran, dass jede Leiche auf die gleiche Art und Weise verwest, sondern auch an der Tatsache, dass ich so wenig Auswahl habe. Könnte ich mir die Leute willkürlich aussuchen, würde mir das alles sehr viel mehr Spaß machen.
    Also geht es inzwischen vielleicht gar nicht mehr nur darum, den Leuten zu helfen, die sowieso schon wissen, welchen Pfad sie einschlagen wollen. Vielleicht geht es tatsächlich darum, den Leuten einen freundlichen Schubs in eine bestimmte Richtung zu geben.
    Nachdem ich die Hausarbeit erledigt habe, logge ich mich zum ersten Mal seit

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