Wofür du stirbst
an. Er beugte sich nach vorne und klemmte seine Hände fest zwischen die Knie. Als ich ihn so sah, musste ich an etwas denken, das Sam mir bei einem seiner täglichen Besuche im Krankenhaus gesagt hatte. Er hatte mir erzählt, dass er am Abend zuvor mit Ryan Frost etwas trinken gewesen war und der ihm erzählt habe, dass sein Vater sich Sorgen gemacht und sich schrecklich gefühlt habe, weil er bei unserem Telefonat am Morgen auf dem Parkplatz vor dem Einkaufszentrum nichts gemerkt hatte, obwohl ich mich offensichtlich seltsam angehört hatte. Er dachte, er hätte schon zu diesem Zeitpunkt etwas tun oder mich suchen sollen.
»Können Sie uns den Mann beschreiben?« Jetzt stellte die Frau die Fragen. Es war mir peinlich, dass ich mich nicht an ihren Namen erinnern konnte.
Er war ein Engel, dachte ich. Engel kann man nicht beschreiben. Und er wäre jedem anders erschienen .
Ich schüttelte den Kopf. »Nein – einfach ein ganz durchschnittlicher Mann.«
»War er größer als Sie?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
Frosty schaufelte Irenes Apfelkuchen in sich hinein, sein Mund war voller Krümel. Ich beobachtete ihn.
»Worüber haben Sie sich unterhalten?«, fragte die Frau.
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Hat er Sie gebeten, ihm zu folgen?«
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Nicht weil ich frustriert darüber war, dass ich mich an nichts erinnern konnte, sondern weil sie so hartnäckig nachfragte. Ich hatte das Gefühl, sie zu enttäuschen: Frosty zu enttäuschen, Sam, Brian und Irene, die alle so freundlich zu mir waren.
»Annabel?«
»Ich kann mich an nichts erinnern.«
»Das macht nichts«, sagte die Frau, wer immer sie auch war. Ich mochte sie nicht. Sie verursachte mir Kopfschmerzen mit ihrem mitfühlenden Lächeln, ihrem glänzenden Haar und ihren funkelnden weißen Zähnen.
»Ich möchte mich wieder hinlegen«, sagte ich. »Ich bin wirklich müde.«
Ich stand auf und verließ den Raum. Irene stand an der Küchentür und sah mich hilflos und nervös an. Wahrscheinlich hatte sie die Unterhaltung belauscht und sich nicht rechtzeitig von der Tür entfernen und irgendeiner banalen Tätigkeit widmen können, als ich hinzukam. Ich sah sie an und ging nach oben. Es machte mir nichts aus, dass sie gelauscht hatte; ich hatte nichts vor ihr zu verbergen, nur die Tatsache, dass mein erbärmliches Gehirn unfähig war, sich an irgendwas von dem zu erinnern, was mit mir passiert war.
Ich legte mich aufs Bett und hörte, wie sie unten über mich redeten.
»Es ist noch sehr früh«, sagte Frosty. »Ich finde, sie hat es trotzdem gut gemacht.«
»Sie bemüht sich«, sagte Irene. »Sie hat schreckliche Erfahrungen hinter sich. Sie braucht einfach noch ein wenig Zeit.«
»Wir müssen ihr aber Fragen stellen«, sagte die Frau. »Wir müssen sie noch einmal vernehmen, vielleicht sogar schon morgen. Vielleicht fällt ihr dann ja mehr ein.«
»Nein«, sagte Irene. »Wir rufen Sie an, sobald sie sich an irgendwas erinnert.«
»So geht das nicht«, sagte die Polizistin. »Das hier ist eine Mordermittlung, Mrs. Everett. Wir müssen so viele Informationen wie möglich zusammentragen. Wir wissen schon, was wir tun.«
»Dieses arme Mädchen«, sagte Irene. »Ich lasse nicht zu, dass Sie sie belästigen.«
»Hören Sie«, sagte Frosty schließlich. »Das führt doch zu nichts. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben und danke für den Kuchen. Rufen Sie mich an und sagen Sie mir Bescheid, wie es ihr geht? Sie kann sich so viel Zeit lassen, wie sie braucht.«
Daraufhin ließ Irene sie zur Haustür hinaus und knallte sie hinter ihnen zu. Ich fragte mich, ob sie wütend auf mich war.
Colin
Abends ging ich meine Biologienotizen durch und verglich sie mit den Fotos, die ich gemacht hatte.
Manchmal, wenn ich in der richtigen Stimmung bin, wähle ich ein paar Bilder aus und lasse sie im Hintergrund als Diashow laufen, während ich mich anderen Aktivitäten wie beispielsweise der Hausarbeit widme.
Shelley verweste am schnellsten, vermutlich, weil es in ihrem Haus so warm war. Ich frage mich, ob die Medikamente, die sie einnahm, auch Auswirkung auf die chemische Zusammensetzung ihrer Köperflüssigkeiten hatte. So oder so, ein echtes Highlight war, als sie ihren Unterarm verlor. Die Sehnen, die normalerweise noch lange, nachdem das Fleisch verwest ist, das Skelett zusammenhalten, hatten sie im Stich gelassen, so wie ihr Körper sie zu Lebzeiten im Stich gelassen hatte.
Ich sah auf meine Notizen
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