Wofür du stirbst
Kram vollgestellt war.
»Ich sollte eigentlich nicht hier sein«, sagte ich. »Der Fall wurde mir entzogen.«
»Ja. Davon habe ich gehört. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Oh, das wäre toll.«
»Wie hätten Sie ihn gerne?«
»Wie es am wenigsten Umstände macht. Schwarz? Danke.«
Der einzige Vorteil ihres Schreibtisches war, dass er in der Nähe des Kühlschranks stand, auf dem ein schmutziges Tablett mit unzähligen Tassen verschiedenster Größen und unterschiedlichstem Sauberkeitsgrad standen. Dunkelbraun verkrustete Teelöffel, verschütteter Kaffee und Tee. Eine braune Glastasse von der Sorte, die man als Werbegeschenk an der Tankstelle erhält, mit einer Flüssigkeit darin, auf der Schimmel schwamm. Ich hätte wetten können, dass dasselbe Stillleben in fast jedem Büro auf fast jedem Polizeirevier des Bezirks zu finden war.
»Also«, sagte Jenny, »dann schießen Sie mal los.«
»Haben Sie den Namen Audrey Madison schon mal gehört?«
»Wer ist Audrey Madison?«
Ich erzählte ihr von Audrey und Vaughn und welche Verbindung sie zu Colin hatten, und da fing sie an, sich Notizen zu machen. Ich erzählte ihr von meinem Besuch bei Lindsay heute Morgen und von Cheryl, die mit Audrey im selben Büro arbeitete. Ich erzählte ihr von dem kleinen, dunklen Wagen, der wie ein Fiesta aussah und sieben Minuten nach Mitternacht mit gestohlenen Nummernschildern auf der Baysbury Road gefahren war. Ich trank den Kaffee. Er schmeckte beruhigend ekelhaft.
»Ich möchte nur sichergehen, dass sie auch wirklich in diese Richtung ermitteln«, sagte ich schließlich.
»Das tun sie bestimmt«, sagte sie tröstend.
»Sie haben mich nicht richtig verstanden«, sagte ich. »Wenn Colin sie am Freitag mitgenommen hat, hat sie vermutlich seitdem weder etwas gegessen noch etwas getrunken. Er wartet darauf, dass sie stirbt. Ich meine, überwacht man ihn? Er wurde doch sicher unter Auflagen entlassen, oder?«
Sie sah mich betreten an.
»Soviel ich weiß, sollte er unter Beobachtung stehen, doch dann ist irgendwas bei der North Division vorgefallen, und die beiden Teams wurden abgezogen.«
»Sie glauben also, dass von ihm keine allzu große Gefahr ausgeht«, sagte ich.
»Er wirkte ziemlich fügsam«, sagte sie. »Solche Typen werden nur dann schwierig, wenn sie instabil sind. Im Verhör kam er aber erschreckend vernünftig rüber.«
»Finden Sie nicht, dass das nur noch beunruhigender ist, wenn man bedenkt, was er getan hat?«
Sie zuckte die Achseln und versuchte zu lächeln.
»Das war nicht meine Entscheidung.«
»Über Audrey wissen Sie auch nichts«, sagte ich.
»Annabel, überlassen Sie das mir, okay?«, sagte sie.
Ich überließ es ihr, trank den halben Kaffee aus, ließ den Rest stehen und ging wieder zum Hauptbüro zurück.
Ich konnte nicht fassen, dass er nicht überwacht wurde. Andererseits überraschte mich das angesichts der geringen Mittel und dem üblichen bürokratischen Tauziehen um die Vergabe von Ressourcen nicht weiter. Es überraschte mich kein bisschen. Colin hatte völlig freie Hand. Ich war mir sicher, dass er Audrey geschnappt hatte.
Trigger und Kate waren nirgendwo zu sehen, doch das kam mir gerade recht. Wenn ich versuchen wollte, die Regeln zu umgehen, konnte ich kein Publikum gebrauchen. Ich loggte mich ein und rief den Dateimanager auf. Man hatte mir den Zugang zur Schwerverbrecherdatenbank genehmigt, in der alle Unterlagen gespeichert waren – Laufwerk L. Sie waren doch nicht etwa so pingelig gewesen und hatten meinen Zugang schon wieder gesperrt? Doch, sie hatten. Ich konnte nur auf die Standardprogramme zugreifen. Ich legte meinen Kopf in die Hände. Ein Gefühl der Dringlichkeit machte sich wie ein Schmerz immer mehr in meiner Brust und meinem Kopf breit.
Ich öffnete mein Mailprogramm und überlegte, Nachrichten mit höchster Prioritätsstufe an den DCI und den DI und an Gott und die Welt zu schicken, als letzten Ausweg sozusagen. Ich hatte zweihundert neue Mails. Ich sah sie durch und fand vier von Frosty. Ich japste vor Freude.
Er hatte mir gleich heute Morgen vier Mails geschickt – nachdem der DCI mir den Fall entzogen hatte, doch offensichtlich bevor er Frosty das mitgeteilt hatte. Und er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zurückzurufen oder zu löschen. Sie trugen alle den gleichen Betreff – »Telefondaten« – und hatten alle eine Anlage. Ganz zappelig voller Erwartung öffnete ich den ersten Anhang. Er enthielt fünf Exceltabellen. In der Nachricht stand »A – hier
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