Wofür du stirbst
den Rücken zukehrte, ihre Schultern hielt oder schief lächelte, schloss ich, dass sie wohl dachte, ich würde mich total zum Affen machen. Sie konnte es wohl kaum erwarten, dem Spektakel beizuwohnen.
DI Andrew Frost kam als Letzter hinzu. Er war mein Lieblingskollege, und ihm fehlten nur noch zwei Jahre bis zu seiner Pensionierung. »Guten Morgen, Annabel. Guten Morgen, Kate. Heute kriegen wir wohl zwei Analystinnen zum Preis von einer, was?«
»Sir«, sagte ich und war erleichtert, dass Frosty heute das Meeting leiten würde. Die anderen DIs stellten gerne unzählige Fragen, sogar solche, die überhaupt keinen Sinn ergaben. Sie gaben einem das Gefühl, als wollten sie uns absichtlich in die Pfanne hauen, um selbst besser dazustehen.
Sie saßen alle um einen Tisch, die Uniformierten auf der einen, die Zivilisten auf der anderen Seite. DI Frost am Kopfende des Tisches, daneben DC Ellen Traynor, DC Amanda Spitz und DC Brian Jones, besser bekannt als Shaggy. Er würde sich kaum in die Diskussion einmischen. Auf unserer Seite des Tisches saßen Jo von der Intel-Einheit, die das Protokoll führte, eine Frau vom Sozialdienst, deren Namen ich regelmäßig vergaß, ein älterer Mann mit Strickjacke, daneben Carol und wir.
Kate war zuerst an der Reihe, dann fingen die endlosen Diskussionen über die Handhabung der aktuellen Fälle an, wie viel Budget noch zur Verfügung stand und ob das Risikomanagement effektiv genug war.
Ich versuchte ruhig zu bleiben und überlegte, was ich sagen sollte.
»Also schön, gibt es noch weitere Anträge? Nein? Gut. Sonst noch irgendwas, bevor wir das Meeting zu Ende bringen?«
Ich ergriff das Wort, bevor wieder irgendjemand eine Frage zum Überstundenentgelt stellen konnte. »Da wäre noch was, Sir.«
»Annabel?«
»Ich habe zu ein paar ungeklärten Todesfällen Nachforschungen angestellt, bei denen die Verstorbenen alle eine Weile lang unentdeckt blieben. Die Anzahl der Fälle ist dieses Jahr ungewöhnlich hoch. Ich habe ein Diagramm dazu erstellt …«
Kate schaltete pflichtbewusst von der taktischen Präsentation zu meinem Diagramm, das eine schwer zu übersehende Spitze aufwies.
»Dabei möchte ich gerne betonen, dass diese auffällige Abweichung nur dieses Jahr bis zum heutigen Datum umfasst, während die anderen Werte ein ganzes Jahr betreffen. Wenn sich die Situation in dieser Geschwindigkeit weiterentwickelt, können wir davon ausgehen, dass die Zahl auf dreißig Todesopfer steigen wird. Wie Sie sehen, hatten wir in keinem Jahr zuvor mehr als elf.«
Nervös sah ich in die Runde am Tisch. Alle saßen in eisernem Schweigen da und starrten auf das Diagramm.
Schließlich sagte Mandy Spitz: »Tut mir leid, Annabel, ich verstehe nicht ganz – reden wir hier von Morden?«
»Nein«, antwortete ich. »Das sind alles Leute, die zu Hause verstorben sind und deren Leichen längere Zeit unentdeckt blieben.«
Jemand schnaubte, vermutlich Carol. Irgendwo flüsterte jemand. Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen anfingen.
Frosty räusperte sich. »Haben Sie irgendeine Theorie dazu, wieso es so viele sein könnten? Gibt es irgendeine Verbindung zwischen diesen Fällen?«
»Na ja«, sagte ich, spähte zu Kate und nickte ihr zu, »auf der nächsten Folie habe ich ein paar interessante Stichpunkte zusammengefasst …«
Es waren nur ein paar Punkte, mit denen ich ihre Aufmerksamkeit erregen wollte. »Dieses Jahr verzeichnen wir eine ungewöhnlich große Altersspanne. Die jüngste war einundzwanzig Jahre alt – Rachelle Hudson, bestimmt erinnern Sie sich noch an sie –, die älteste war Anfang neunzig. Allerdings sind alle Altersgruppen vertreten, Zwanzig-, Dreißig-, Vierzig-, Fünfzig-und Sechzigjährige. Die Jahre zuvor haben wir nur zweimal einen Toten unter sechzig gefunden. Der eine war vermutlich an einer Überdosis gestorben, der andere hatte sich höchstwahrscheinlich das Leben genommen. In diesem Jahr wurde nur in einem Fall eine offizielle Todesursache ermittelt.«
»Weil die Verwesung so weit fortgeschritten war, dass wir die Todesursache nicht mehr feststellen konnten?«, fragte der Mann mit der Strickjacke. Er sprach mit tiefer, voller Stimme.
»Ja, zum Teil«, sagte ich und kam langsam in Fahrt. »Andererseits wurden die meisten Leichen an ganz gewöhnlichen Orten gefunden: entweder in ihren Betten oder im Sessel. In den vergangenen Jahren haben wir beispielsweise verweste Leichen unter selbst geknüpften Henkersschlingen oder in der Badewanne entdeckt. Manche
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