Wofür du stirbst
einstellen konnten, doch dann fügte der Personalleiter noch hinzu, dass sie etwa vier Monate tot in ihrer Wohnung gelegen hätte.
Und das vor dem Mittagessen.
In den folgenden Tagen war Janices trauriges Ende Gesprächsthema Nummer eins. Das ging so weit, dass ich es irgendwann leid war und kurz davorstand aufzuspringen und irgendeine Schweinerei zu schreien, wenn ihr Name noch einmal genannt würde. Doch noch viel beunruhigender war die Tatsache, dass plötzlich auch mein Name in den Unterhaltungen auftauchte.
»Wie bitte?«
Das war natürlich Martha.
»Colin, ich habe nur gesagt – falls du zugehört hättest –, dass du mit ihr befreundet warst, oder nicht?«
»Mit wem? Mit Janice? War ich nicht.«
»Du hast mehr als irgendwer sonst mit ihr geredet.«
»Ich habe mit ihr geredet – das heißt aber nicht, dass wir befreundet waren.«
»Findest du es nicht trotzdem schrecklich, dass sie so lange tot war und keiner nach ihr gesehen hat?«
»Ja, schrecklich«, sagte ich gezwungen. Dann fuhr ich mit meiner Arbeit fort und hoffte, sie würden mich in Ruhe lassen. Glücklicherweise redeten sie gleich darauf von etwas anderem.
Dennoch ertappte ich mich immer wieder dabei, dass ich an sie dachte. Warum hatte sie mich an jenem Tag angesprochen, nachdem sie so lange kein Wort gesagt hatte? Fand sie mich anziehend? Ich dachte intensiver darüber nach: wie sie gelächelt, wie sich ihr Gesicht verändert hatte. Ich versuchte sie mir in meinem Schlafzimmer vorzustellen, wie ich ihr die Strickjacke und die schreckliche formlose Bluse, die sie immer trug, auszog und darunter einen Büstenhalter vorfand, den man durchaus als rustikal hätte bezeichnen können. Doch statt unter den Kleidern auf etwas Handfestes voller Haare, Falten und Leberflecken und Schweißgeruch zu stoßen, wie ich es mir so sehr gewünscht hätte, fand ich den Körper meines Engels, fest und geschmeidig und golden und glänzend, makellos und klar und unberührbar, und damit verschwand meine Begeisterung für sie, wie das immer geschah, wenn ich mit Perfektion konfrontiert werde.
Das Fitnessstudio leert sich langsam, ich gehe in die Umkleide, stelle mich kurz unter die Dusche, um den Schweiß abzuspülen, und schwimme dann im leichten Rhythmus dreißig Bahnen im Schwimmbecken, um mich abzureagieren. Trotzdem behalte ich die Uhr im Auge. Letzte Woche bin ich die Bahnen in neunzehn Minuten geschwommen. Wenn ich daran arbeite, könnte ich es vielleicht auch in fünfzehn schaffen. Wenn ich mich anstrenge.
Als ich vom Fitnessstudio in der Stadt zu dem hier wechselte, war mir mein Workout peinlich geworden. Im alten Studio gab es eine Gruppe von Frauen, die offenbar immer dann da waren, wenn auch ich kam, und die hinter vorgehaltener Hand kicherten und flüsterten. Außerdem war das Studio immer überfüllt – ein weiterer Grund, es zu wechseln. Es gibt nichts Schlimmeres, als auf jemanden zu warten, bis er seinen verschwitzten Arsch vom Radsitz schwingt.
Das Fitnessstudio, in dem ich jetzt trainiere, ist teurer, aber das nehme ich gerne in Kauf. Es ist viel größer, was bedeutet, dass es auch besser ausgestattet ist. Der hohe Mitgliedsbeitrag sorgt dafür, dass nur eine ausgewählte Klientel dort hingeht. Tagsüber kommen Frauen, die nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen haben; nach der Schule dann Mütter mit ihren Kindern. Am späteren Abend hingegen füllt sich das Studio mit Berufstätigen, die ihr Programm absolvieren und dann genau wie ich entweder nach Hause oder in den Pub oder sonst wohin gehen, gleichzeitig aber doch ganz anders sind als ich.
Diese Woche ist es ein Jahr her, seit wir von Janices Tod erfahren haben. Vielleicht kommt sie mir deshalb in letzter Zeit so häufig in den Sinn. Das Wetter und die Verfärbung des Laubs erinnern mich an Verfall, an ihren verwesenden Körper, der sich verflüssigte, ohne dass jemand es bemerkte. Ich wünschte, ich hätte mehr auf sie geachtet. Wie viel Schönheit ich verpasst habe!
Andrerseits hätte mich das nur gestört und für zusätzliche Ablenkung gesorgt, genau wie diese schreckliche Frau vom Pflegeheim. Heute Abend, bevor ich ins Fitnessstudio ging, hat sie wieder angerufen. Ich dachte erst, es sei Vaughn, und ging ran, ohne vorher auf das Display zu sehen.
»Mr. Friedland?«
Ich erkannte ihre Stimme sofort. Nur sie betonte meinen Namen auf der zweiten Silbe, sodass er völlig anders klang, als alle anderen ihn aussprechen. Ich korrigiere sie nur deshalb nicht, weil sie vermutlich
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