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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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wenig länger warten.
    Als ich nach Hause kam, fand ich in der Nähe meiner Wohnung nirgends einen Parkplatz. Ich musste den Wagen auf der Hauptstraße stehen lassen, an der nur Proleten und Junkies wohnen, und dann ein Stück zurücklaufen, nachdem ich meinen Wagen doppelt und dreifach kontrolliert und dafür gesorgt hatte, dass er richtig abgeschlossen war und keine Wertsachen in Sichtweite lagen. Ich fuhr einen zehn Jahre alten Peugeot, der zwar die Mühe nicht lohnte, aber leider leicht zu klauen war. Das wäre zwar nicht das Ende der Welt gewesen, aber wahnsinnig lästig.
    Lucy kam mir am Anfang der Straße entgegen, hüpfte von einer kleinen Gartenmauer und versuchte mir den ganzen Weg bis zur Haustür ein Bein zu stellen, als habe sie seit Wochen nichts mehr zu essen bekommen. Ich suchte in der Dunkelheit das Schlüsselloch – irgendwann musste ich mal das Licht reparieren –, und als ich endlich die Tür aufstieß, klingelte auch schon das Telefon.
    »Hallo?« Es war meine Mutter. »Ja, Mom, ich bin gerade erst zur Tür reingekommen. Kann ich dich später zurückrufen?«
    »Also, jetzt habe ich den ganzen Tag damit gewartet, dich anzurufen, weil ich mir schon dachte, dass du in der Arbeit zu beschäftigt bist, um mit mir zu reden, aber wenn du jetzt auch keine Zeit hast …«
    »Tut mir leid, Mom. Ich bin einfach nur müde.«
    »Ich brauche sowieso nur einen Augenblick. Hast du einen Stift?«
    Ich setzte mich im Mantel auf das Sofa, balancierte einen Notizblock auf den Knien und machte eine Liste der Dinge, die ich morgen für sie einkaufen sollte, während die Katze ununterbrochen um meine Fußknöchel strich, sich an meinen Rock und meine Oberschenkel krallte, obwohl ich sie immer wieder wegschob. Schließlich gab ich auf, klemmte das Telefon zwischen Ohr und Schulter, ging in die Küche und holte Katzenfutter.
    Ich machte mir ein Omelett und einen Tee, sah mir eine Sendung über Afrika im Fernsehen an und ließ mir dann ein heißes Bad ein. Ich saß im warmen, schaumigen Wasser und lauschte der dröhnenden Stille im Haus.
    Ich versuchte mir vorzustellen, was in den Monaten passiert war, seit ich Shelley Burton das letzte Mal gesehen hatte. Vielleicht war sie so unglücklich gewesen, als ihr Partner ausgezogen war, dass sie nicht mehr gärtnern wollte und jeden Lebenswillen verloren hatte. Vielleicht hatte er eine Affäre gehabt, und das hatte sie so fertiggemacht.
    Das alles hätte sich nebenan abspielen können, ohne dass ich etwas davon bemerkt hätte. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen. Vielleicht war ich deshalb davon ausgegangen, dass sie ausgezogen war und das Haus verkauft oder vermietet werden sollte. Und nun stellte sich heraus, dass sie die ganze Zeit über dort gewohnt hatte.
    Ich war nicht traurig, trotzdem kamen mir ganz unerwartet die Tränen. Tränen, weil es so still und weil ich so allein war. Tränen für die Menschen, die in ihren Wohnungen gestorben und dort liegen geblieben waren, deren Körper zu Flüssigkeit, Knochen und Schleim verwesten, bis am Ende nichts als schwarze Flecken auf der Matratze oder dem Stuhl übrig blieben. Die nur in Anwesenheit der Gemeindeangestellten begraben wurden, die bis zuletzt vergeblich versucht hatten, jemanden aufzutreiben, der sie geliebt hatte.
    Wenn ich jetzt hier starb, würde mich dann jemand vermissen? Würde man es auf der Arbeit wirklich bemerken? Würde Mom die Polizei verständigen, wenn sie mich nicht mehr erreichen könnte? Irgendwer würde vorbeikommen. Aber was, wenn ich nicht an die Tür ging? Wie lange würde es dauern, bis jemand die Tür eintrat? Tage? Wochen? Und in welchem Zustand würde man mich vorfinden?
    Vor der Badezimmertür hörte ich ein kratzendes Geräusch. Die Katze, mein Rückhalt, mein Fels.

 
    Colin
    Heute ist mir bei der Arbeit aufgefallen, dass sich Martha mit Katrine, der neuen Aushilfskraft, unterhielt. Die ersten paar Wochen habe ich sie kaum bemerkt, dann hatte sie mich einmal im Aufzug angelächelt, und seitdem nehme ich sie sehr intensiv wahr, wenn sie im Raum ist.
    Offenbar ist sie Dänin, obwohl sie praktisch akzentfrei spricht. Alle reden hinter ihrem Rücken über sie, so wie vermutlich über mich, wenn ich nicht da bin. Ich hasse diese Oberflächlichkeit, die Gehässigkeiten und die Tatsache, dass sie so tun, als wären sie Freunde, einen dann aber in Stücke reißen, sobald man nicht in der Nähe ist.
    Sie haben versucht, mich in die Sache reinzuziehen, mich nach meiner Meinung gefragt, dann aber

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