Wofür du stirbst
Protokolle beschreiben den Fundort der Leichen nicht detailliert genug, trotzdem gibt es offenbar nicht allzu vieles, das – nun, sagen wir – auf ein Verbrechen hinweist.«
»Sir, ich habe mit den Kollegen aus Hampshire am Fall Rachelle Hudson gearbeitet«, sagte Ellen Traynor zu Frosty. »Das Ganze war ziemlich seltsam, nicht nur, weil sie sich damals aus freien Stücken völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, sondern weil sie offenbar auch freiwillig den Tod gewählt hatte.«
»Den Tod gewählt?«, fragte DI Frost. Alle im Raum schwiegen.
»Ja. Wir fanden nirgends im Haus etwas Essbares. Nicht einen Krümel. Sie lag in ziemlich fortgeschrittenem verwestem Zustand auf dem Bett in ihrer Wohnung. Der Gerichtsmediziner konnte keine genaue Todesursache mehr feststellen, seiner Meinung nach war sie aber verhungert.«
»Es gibt schönere Wege, aus dem Leben zu scheiden«, sagte Mandy.
»Auf alle Fälle.« Andrew Frost schwieg und studierte die Folie. Mir wurde wieder mulmig.
»Ich weiß nicht, ob das hier die richtige Abteilung ist«, sagte er schließlich. »Wenn wir irgendwas hätten, das auf ein Verbrechen hindeuten würde …«
»Nur die ungewöhnliche Altersspanne der Toten«, sagte ich. »Und die Tatsache, dass sie offenbar keiner vermisste. Das kommt manchmal bei älteren Leuten vor, wenn sie Angst haben, ins Heim abgeschoben zu werden, und darum jeden Kontakt mit der Außenwelt meiden, aber nicht bei jüngeren Menschen.«
»Betrifft das nur unseren Bezirk?«, fragte Ellen daraufhin. »Wie sieht es mit anderen Landkreisen aus?«
Ich hatte die letzte Präsentationsfolie ganz vergessen, dafür hätte ich mich ohrfeigen können. »Auch das ist interessant. Ich habe es auf der nächsten Folie abgebildet …«
Kate drückte auf den Knopf.
»Das ist nur eine einfache Grafik. Wie Sie sehen, verzeichnen alle anderen Landkreise in diesem ähnlich wie in den vergangenen Jahren stabile Werte. Was auch immer der Grund für diesen ungewöhnlichen Ausschlag ist, er ist lediglich auf Briarstone beschränkt.«
Alle starrten die Folie an. Der Frau vom Sozialdienst war sogar der Mund offen stehen geblieben. Frosty fuhr sich mit einer Hand durch das kurze graue Haar. »Ich werde es beim Meeting der Einsatzkräfte ansprechen«, sagte er schließlich. »Mal sehen, ob irgendwem in der Abteilung für Schwerverbrechen etwas dazu einfällt. Annabel, könnten Sie mir die Folien zuschicken?«
»Ja, Sir«, sagte ich.
»Wenn Sie wollen, kann ich sie Ihnen auch gleich mailen, solange ich sie noch hier habe«, sagte Kate eifrig.
»Kommst du?«, fragte Trigger Kate, als er schon im Mantel in der Tür stand.
Es war halb vier. Trigger hatte aufgrund eines Hüftleidens (das ihn seltsamerweise aber nicht davon abhielt, am Wochenende seinem Lieblingshobby, dem Bergwandern, nachzugehen) einen persönlichen Parkplatz bekommen, weshalb sich Kate meistens von ihm zum Park&Ride bringen ließ.
»Trig, ich habe noch was zu erledigen«, sagte sie. »Trotzdem vielen Dank. Wir sehen uns morgen.«
Ich sah sie erstaunt an. Normalerweise war sie nach der vierzehntägigen Präsentation so erledigt, dass sie immer besonders früh ging.
»Hat Frosty dir schon gemailt?«, fragte sie, als Trigger verschwunden war. Im Revier war alles still; selbst der Lautsprecher hatte die vergangene Stunde nichts zu melden gehabt.
»Ja«, sagte ich. Er hatte mir vor einer Stunde eine Mail geschickt, aber ich war zu aufgeregt und enttäuscht gewesen, um ihr Bescheid zu geben.
»Und?«
»Er hat geschrieben, dass sie es sich nicht einmal anschauen wollen. Sie hätten genug richtige Verbrechen, um die sie sich kümmern müssten.«
»Hab ich dir doch gesagt.«
Ihre Antwort war nicht besonders hilfreich, doch immerhin zeigte sie Interesse, wenn auch nur, um ihre Überlegenheit zur Schau zu stellen.
»Dieses Büro ist einfach völlig besessen von den Vorgaben des Innenministeriums«, sagte ich. »Es geht immer nur um Aufklärungsquoten. Sobald sie etwas nicht aufklären können, tun sie entweder so, als wäre nichts passiert oder es handle sich nicht um ein Verbrechen. Es geht gar nicht mehr um die Menschen, die richtigen Menschen. Sie machen es sich zu leicht, wenn sie alles in Statistiken packen. Das macht mich wahnsinnig.«
Eine halbe Stunde später gingen wir gemeinsam den Hügel hinauf zur Bushaltestelle. Wir waren vorher noch nie gemeinsam irgendwo hingegangen, selbst wenn wir zur selben Zeit in dieselbe Richtung mussten. Um vier hatte ich
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