Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
Vom Netzwerk:
Weihnachts-und Geburtstagsgeschenke für die Kinder aufzusparen. Doch dann ging ich immer öfter zum Laden an der Ecke und kaufte mir ein paar Flaschen, nur um mich aufzuwärmen.
    Und da war ich schließlich gelandet, zwei Jahre nachdem ich glückselig an einem Sonntagnachmittag den Abwasch gemacht, die Kinder oben gespielt und meine Frau wer weiß wo wer weiß mit wem wer weiß was getrieben hatte.
    Niemand weiß, was Einsamkeit bedeutet, bevor sie einen nicht selbst beschleicht – wie eine Krankheit, die langsam Besitz von einem ergreift. Und natürlich ist der Alkohol kein Ausweg: Man trinkt, um zu vergessen, wie beschissen so ein Leben ist; hört man aber auf zu trinken, ist alles noch viel beschissener. Also trinkt man weiter und versucht, alles zu verdrängen.
    Ich habe immer geglaubt, wenn es jemanden gegeben hätte, mit dem ich hätte reden können, der mir richtig zugehört hätte … Damit meine ich nicht den Arzt, der es immer eilig hatte, mich aus dem Sprechzimmer zu schicken, weil ich nach Fusel oder noch Schlimmerem roch; nicht die Leute von der Tagesstätte, die jeden Tag solche Geschichten hörten. Abgesehen davon, dass es schlimmere als meine gab.
    Aber so jemanden hatte ich natürlich nicht. Und falls doch, falls irgendeine Person mich auf der Straße angesprochen und mich ehrlich gefragt hätte, wie es mir geht, was hätte ich antworten sollen? Wo hätte ich beginnen sollen?
    Wenn ich rausging, spielte ich manchmal ein kleines Spiel, nur um zu sehen, ob es mir gelänge, irgendjemanden dazu zu bringen, mir eine Minute in die Augen zu sehen. Und wissen Sie was? Niemand schaut einem in die Augen. Mir wurde klar, dass mir seit vielen Jahren niemand mehr in die Augen geschaut hatte und Bev vermutlich die Letzte gewesen war. Was bedeutete das? Was sollte das überhaupt heißen? Wenn die Menschen aufhören, einen anzusehen – existiert man dann nicht mehr? Heißt das, dass man kein Mensch mehr ist? Bedeutet es, dass man schon tot ist?

 
    Annabel
    Natürlich ist es ziemlich ungewöhnlich, an Engel zu glauben.
    Bei der Arbeit sprach ich nie darüber, denn das wäre der Witz des Tages im Büro gewesen. Meine Kollegen hatten die ganze Woche über mit schrecklichen Verbrechen zu tun und kamen nur deshalb damit zurecht, weil sie, wo es nur ging, etwas zum Lachen suchten. Sie lachten sich gegenseitig aus, nahmen es einander aber nicht übel. Manchmal verarschten sie uns, die Analysten. Kate machte das natürlich gar nichts aus, sie hatte genug Selbstvertrauen. Man hätte ihr nachrufen können, dass sie ein potthässlicher Niemand sei, und sie hätte nur zurückgelächelt, gezwinkert und so was wie »Na klar« geantwortet.
    Ich war zu empfindsam, das wusste ich. Ich kämpfte dagegen an, setzte ein mutiges, vergnügtes Gesicht auf und hielt mir die schlimmsten Witze über mein Gewicht oder mein mangelndes Sozialleben vom Leib, indem ich immer als Erste darüber Scherze riss. Ich denke, so spürten sie, dass sie eine gewisse Grenze nicht überschreiten durften.
    Darum erzählte ich ihnen auch nichts über die Engel und davon, wie wirklich, heilig, wunderschön und allgegenwärtig sie sind. Ich konnte sie spüren, wenn ich traurig war – in Form eines Regenbogens, einer Feder, eines Lufthauchs auf meiner Haut. Ich sprach mit ihnen und lauschte allem, was sie mir zu sagen hatten. Ich versuchte mich so zu verhalten, dass sie glücklich waren.
    Doch im Moment war ich unglücklich. Ich musste die ganze Zeit an Shelley Burton und all die anderen armen Menschen denken, die im Angesicht des Todes alleine in ihren Wohnungen gewesen waren und darauf gewartet hatten, von den Engeln willkommen geheißen zu werden, aber wussten, dass sie weiter auf der Erde verweilen und mitansehen würden, wie sie ungeliebt, unbehütet und unbeachtet verwesten. Der Gedanke daran machte mich krank und beschämte mich zutiefst. Ich fragte mich, ob sie wirklich wussten, was sie da taten, oder ob das Leben sie so schlecht behandelt hatte, dass das Verlangen zu sterben stärker war als die schreckliche Vorstellung dessen, was sie vielleicht danach erwarten würde.
    Heute nahmen drei Mitglieder des Einsatzteams bei einer Besprechung mit der Intel teil. Sie amüsierten sich köstlich über meine plötzliche Begeisterung für verwesende Leichen. O, haha, wie witzig, Annabel, die fette, alte Schlampe, hat eine Schwäche für Gammelfleisch – wer hätte das gedacht … Kate spielte natürlich mit und lachte mich ebenfalls aus. Na ja, fairerweise

Weitere Kostenlose Bücher