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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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(natürliche) Vorgänge beschleunigen den Zerfall, nicht zu vergessen auch aufgrund der ungemein faszinierenden Autolyse, der Vernichtung der Zellen durch körpereigene Enzyme.
    Die Bauchspeicheldrüse, ein Organ voller Verdauungsenzyme, zerfällt als Erste. Am Ende des aktiven Verwesungsprozesses bleibt nur sehr wenig übrig – nicht einmal Haut. Alle Moleküle, die einst das Leben, Atmen und Empfinden möglich gemacht haben, verwandeln sich in Atome, die den Boden nähren und neues Leben hervorbringen. Ein unübertroffenes Wiederverwertungssystem.
    Irgendwann musste ich mich dann aber doch vom Computer lösen. Auf dem Weg zum College schaute ich bei einem Haus in Catswood vorbei. Es war nur eine kurze, nicht sonderlich aufschlussreiche Stippvisite.
    Das Wilson-Gebäude war grau im Regen, ein Betonblock, den viele als abstoßend bezeichnen, ich aber als anregend empfinde. Die Fassade wirkte völlig gleichmäßig, doch je näher man ihr kam, desto deutlicher waren die Risse, der Schimmel und die durch die Witterung veränderte Oberflächenstruktur zu erkennen.
    Das Seminar hatte fünf Teilnehmer: Darren, Lisa, Alison, Roger und mich. Nigel, unser Seminarleiter, war wie immer zu spät dran, also hingen wir vor dem verschlossenen Seminarraum herum und schwiegen grimmig. Wir hielten jeder einen Becher Kaffee aus dem Automaten in der Hand. Ich fragte mich, ob sie auch überlegten, was sie Intelligentes sagen konnten. Das ist das Problem mit diesem Kurs – man gerät ziemlich unter Druck, weil man sich etwas Gutes einfallen lassen muss, wenn man sich mit den anderen unterhalten will.
    Roger räusperte sich und kam zu mir rüber. Er wollte wissen, ob ich schon irgendeine der Techniken in die Praxis umgesetzt hatte.
    »Noch nicht«, sagte ich, lächelte ihn an und zwinkerte ihm halbherzig zu, weil ich wusste, dass er aufgrund des Kurses in der Lage war zu erkennen, ob ich log. Obwohl, vielleicht hatte er die Lüge auch übersehen und mein Zwinkern falsch interpretiert. So unsicher sind unsere Kommunikationsmethoden.
    Nach dem Seminar blieb ich noch eine Weile im Klassenzimmer, stellte dumme Fragen über mögliche Zusatzseminare und wie viele Scheine ich in diesem Kurs für ein zusätzliches Diplom in Psychologie – warum eigentlich nicht? – machen konnte. Doch das tat ich nur, damit ich nicht mit den anderen Losern zum Parkplatz gehen musste.
    Durch die Glastür im Foyer sah ich Lisa und Roger, die vor dem Haupteingang standen und sich unterhielten. Lisa stand leicht schräg zu ihm und wandte ihm die Hüfte zu, während ihre Schuhspitzen von ihm wegzeigten. Er beugte sich zu ihr, lachte und – genau, da war es – fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Auch sie lachte, warf ihren Kopf in den Nacken und entblößte ihren Hals.
    Ich wandte ihnen den Rücken zu und studierte aufmerksam das Schwarze Brett am Eingang. Ich sah mir die Anzeigen für Mitwohngelegenheiten an, verschiedene Gruppeninitiativen, Sportvereine und Beratungsangebote. Diese fasste ich ein wenig genauer ins Auge. Unter dem Flyer einer Selbsthilfegruppe für stillende Mütter (echt? Ausgerechnet hier?) steckte die kleine Anzeige einer Gruppe für Trauerbewältigung.
    Wir sind eine Gruppe von Studenten,
    die einen Verlust erlitten haben.
    Unser Ziel ist, uns gegenseitig zu unterstützen
    und unsere individuellen Traumata zu verarbeiten.
    Dienstag, 18:30-21:00 Uhr, Seminarraum 13.
    Jeder ist willkommen.
    Ich starrte eine Zeit lang auf die Anzeige und wollte mich nicht umdrehen, für den Fall, dass Lisa und Roger mich bemerkten und sich wunderten, was um alles in der Welt ich hier verloren hatte. Daneben hing eine weitere Anzeige, diesmal ging es um Essstörungen. Eine etwas größere war von den Anonymen Alkoholikern.
    Es ist schon seltsam, wie sich das Schicksal in Zeiten wie diesen bemerkbar macht. Ich stand am Schwarzen Brett, las über Alkoholiker und Trauerarbeit, da stand sie plötzlich neben mir und las dieselben hirnverbrannten Anzeigen wie ich. Ich sah zu ihr hinüber und spürte sofort ein erregtes Kribbeln. Sie trug eine Jeansjacke und einen mehrfach um den Hals gewundenen Schal. Sie hatte die ausgefransten Ärmelaufschläge ihrer Jacke über die Hände gezogen.
    Ich sah sie an und versuchte zu lächeln. Sie sah mich an, dann aber wieder weg. Verzweiflung lag auf ihrem Gesicht. Ich wusste nicht, wodurch sie hervorgerufen worden war. Trotzdem war sie unübersehbar.
    Ich legte eine Hand auf ihren Arm, sie zuckte ein wenig zusammen.

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