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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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Röntgenabteilung bis zur Onkologie, und weiter durch die Flügeltür am Ende. Dann drehte ich um und lief den ganzen Gang wieder zurück. Irgendwann gab ich auf und ging wieder nach oben in die Abteilung für Schlaganfallpatienten.
    Um halb elf kam endlich eine Frau von der Palliativstation, um mit mir zu reden. Sie war Krankenschwester, trug aber eine schicke Hose und einen grünen Pulli, dazu eine klobige Halskette. Mittlerweile hatte ich begriffen, dass Mom sterben würde. Auch die Art und Weise, wie sie atmete, hatte sich verändert. Ihr Schnarchen wurde lauter, beruhigte sich dann wieder und wechselte dann zu einer Art Schnappatmung.
    »Der Morphiumtropf macht es ihr leichter«, sagte die Krankenschwester. »Sie schläft gerade sehr tief.«
    »Wie lange wird dieser Zustand andauern?«, fragte ich.
    »Das ist schwer zu sagen«, sagte sie. »Vielleicht ein oder zwei Tage, vielleicht auch weniger. Jedenfalls bestimmt nicht lange. Möchten Sie irgendwen anrufen?«
    Ich hatte meine Cousine ganz vergessen – doch was sollte das jetzt bringen? Ich hatte seit Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen.
    »Nein«, sagte ich.
    Sie ging, und eine weitere halbe Stunde verstrich. Eigentlich war es Mittag, also öffnete ich die Tüte Bonbons und schob mir eines in den Mund. Gerade, als ich über ein viertes Bonbon nachdachte, klopfte jemand kurz und entschlossen an der Tür. Zwei Krankenschwestern in Kitteln und Handschuhen kamen herein.
    »Wir betten Ihre Mom jetzt um«, sagte eine, »dann fühlt sie sich wohler.«
    »Oh, soll ich gehen?«
    »Das ist vielleicht besser. Wir brauchen nicht lange.«
    Ich ging ins Wartezimmer, in dem ich schon mitten in der Nacht gesessen hatte. In einer Ecke lief ein Fernseher mit irgendeiner Mittagstalkshow, die ich noch nie gesehen hatte. Ich setzte mich und schaute zu, ohne mich darauf zu konzentrieren. Ich dachte an meine Arbeit und die Katze.
    Eine halbe Stunde später ging ich in Moms Zimmer zurück, die Krankenschwestern waren verschwunden. Ich ging wieder hinaus zur Schwesternstation, wo sie zu dritt Tee tranken.
    »Tut mir leid, dass ich störe«, sagte ich.
    »Kein Problem, machen Sie sich keine Sorgen«, sagte die Krankenschwester, die mir am nächsten saß. Sie war auch diejenige gewesen, die reingekommen war und sich um Mom gekümmert hatte.
    »Ist es okay, wenn ich eine Weile nach Hause ginge«, sagte ich. »Ich muss meine Katze füttern …«
    »Natürlich!«, sagte die Krankenschwester. »Warum duschen Sie sich nicht auch gleich und essen etwas? Ich rufe Sie an, falls sich ihr Zustand verändert.«
    Ich ging raus und lief mit gesenktem Kopf an den Rauchern vorbei, in der Hoffnung, dass niemand mein Elend bemerken würde. Doch darüber hätte ich mir keine Gedanken machen brauchen. Obwohl einige der Menschen ganz offensichtlich schwer krank waren, schienen sie irgendwie recht munter zu sein.
    Ich hielt meinen Blick auf den Boden gerichtet, sodass ich den Mann vor mir erst bemerkte, als ich ihm in den Rücken lief. Er drehte sich um und hielt mich am Ellenbogen fest, als ich stolperte und beinahe in der Krankenwagenauffahrt am Haupteingang gestürzt wäre. »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich war –«
    »Annabel?«
    Erstaunt sah ich auf. Einen Augenblick sah ich ihn verwirrt an.
    »Sam«, sagte er. »Wir haben uns gestern getroffen.«
    Gestern? Für mich schien es Jahre her zu sein. »Oh, richtig«, sagte ich. »Klar. Tut mir leid. Es war ein – langer Tag für mich.«
    »Alles in Ordnung?«, fragte er und nickte zum Haupteingang des Krankenhauses.
    »Meine Mom – ist gestürzt.«
    »Tut mir leid«, sagte er. »Geht es ihr gut?«
    Sie stirbt, dachte ich. Die Worte schmeckten bitter wie Galle, ich konnte sie nicht aussprechen. »Sie ist bewusstlos«, sagte ich. »Ich wollte gerade nach Hause fahren.« Ich drehte mich um, wollte zum Wagen gehen und ignorierte dabei den stechenden Schmerz in meinem Knöchel. Das wird schon wieder, sagte ich mir; wenigstens ist nichts gebrochen. Doch dann besann ich mich wieder auf meine guten Manieren.
    »Was ist mit Ihnen?«, fragte ich. »Was machen Sie hier?«
    »Das waren wirklich äußerst verrückte Tage. Ich habe gerade auf ein Taxi gewartet, aber vermutlich geht es schneller, wenn ich laufe.«
    »Ich kann Sie mitnehmen«, sagte ich, noch bevor ich mich eines Besseren besinnen konnte. »Wo müssen Sie denn hin?«
    »Einfach nur in die Stadt zurück«, sagte er. »Keats Road.«
    »Keine Ahnung, wo die ist. Sie müssen mir den Weg weisen«, sagte

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