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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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ausspuckte. Dem folgte eine gnädige Pause. Ich hatte das Gefühl, taub geworden zu sein, doch er holte nur Luft und fing wieder an zu schreien.
    Ich warf einen Blick in die erste Zeitschrift und versuchte, mich auf die Gesichter der Prominenten zu konzentrieren. Ich kannte nur einen. Ich blätterte die Zeitschrift durch, bis ich zu einer achtseitigen Fotoreportage über Elton John gelangte, der seinen Müll raustrug. Ich gab auf und pfefferte die Zeitschrift beiseite. Je länger ich wartete, desto unwahrscheinlicher war es, dass Moms Gesundheitszustand bedenklich war. Denn sonst hätte man mich bestimmt gleich abgeholt, dachte ich.
    Und natürlich kam genau in dem Moment eine Krankenschwester durch den abgehängten Bereich.
    »Annabel Hayer?«
    Ich stand so ruckartig auf, dass mir schwindelig wurde, ließ mir jedoch nichts anmerken. »Ja«, sagte ich.
    »Hallo«, sagte sie, machte gleich wieder kehrt und ging davon aus, dass ich ihr folgen würde. »Warten Sie schon lange?«
    »Nein«, sagte ich. »Wie geht es meiner Mom? Ist alles in Ordnung?«
    Sie öffnete eine Tür, trat beiseite und ließ mich vorbei. Ich hatte gedacht, man würde mich in einen kleinen Raum führen, doch stattdessen befand ich mich in einer Ecke der Notaufnahme.
    »Setzen Sie sich«, sagte sie. »Der Doktor kommt gleich.«
    Und noch bevor ich irgendeine weitere Frage stellen konnte, war sie schon wieder verschwunden und hatte die Tür zum Wartezimmer hinter sich geschlossen.
    Ich sah mich um und verbiss mir die Tränen. Ich hätte am liebsten jemanden angerufen, aber mir fiel beim besten Willen niemand ein. Meine einzige Cousine in Schottland? Was hätte sie am anderen Ende des Landes schon ausrichten können? Vielleicht hätte ich Kate anrufen können. Doch für einen derartigen Notruf kannte ich sie wirklich nicht gut genug. Sie hätte mich nur noch mehr gehasst, als sie es ohnehin schon tat. Ich hatte niemanden. Ich war ganz alleine.
    Das schreiende Kleinkind (oder vielleicht war es ein anderes; für mich klangen alle Babys gleich) wurde hinter einem Vorhang behandelt. Zwischen den Schreien hörte ich Stimmen, die beruhigend auf das Kind einredeten. »So ist es brav! Guter Junge, du bist ein mutiger Junge. Es ist gleich vorbei. Es ist fast vorbei. Mom, hältst du seine Hand? So. Halte sie fest … Genau … Das war’s. Schon vorbei.«
    Ich hörte schnelle Schritte auf dem Linoleumboden, dann kam ein Mann in einem blauen Kittel und bis zu den Ellbogen hochgekrempelten Ärmeln, einem Stethoskop um den Hals und einem Namensschild an der Brusttasche um die Ecke gebogen. Er sah sehr jung aus und wirkte übermüdet, trotzdem lächelte er. Ich rappelte mich auf, wobei mir fast die Tasche vom Schoß gerutscht wäre und ich sie festhalten musste.
    »Miss Hayer? Danke, dass Sie so lange gewartet haben. Ich bin Jonathan Lamb und einer der Ärzte, die sich heute Abend um Ihre Mutter kümmern. Würden Sie mir bitte folgen?«
    »Wie geht es ihr?«, fragte ich und versuchte mit ihm Schritt zu halten. Er führte mich den Gang entlang an ein paar mit Vorhängen abgetrennten Krankenbetten vorbei. Vor dem hintersten blieb er stehen, ich wartete. Ich stand ein paar Schritte hinter ihm und war außer Atem vor Anstrengung, obwohl wir nur ein paar Meter gelaufen waren.
    »Wenn ich richtig verstanden habe, ist sie zu Hause gestürzt?«
    »Ihr Nachbar hat mich angerufen. Ich weiß nicht, was passiert ist.«
    »Gleich hier rein«, sagte er und zog den Vorhang beiseite, machte Platz und ließ mich vorbei. Mom lag auf einem Rollbett und war überall an Schläuche und Geräte angeschlossen.
    »Oh, Mom!«, entfuhr es mir unwillkürlich.
    Hinter mir stand Jonathan Lamb, sein Piepser ging plötzlich los. »Ich bin – äh – ich bin gleich wieder da, dann reden wir weiter. Setzen Sie sich.«
    Ich nahm Moms Hand, sie war schwer und heiß von dem Laken, mit dem sie zugedeckt war. Sie trug einen Krankenhauskittel. Ich hätte ihr ein Nachthemd mitbringen sollen, dachte ich; diesen Kittel hätte sie gehasst. Er war ihr ganz offensichtlich zu klein. »Mom?«
    Sie reagierte nicht auf meinen Händedruck. Nichts.
    Ich stand da, hielt ihre Hand und hatte das Gefühl, als verginge eine Ewigkeit. Mein Rücken tat weh, weil ich vornübergebeugt dastand, doch erst als der dumpfe Schmerz unerträglich wurde, ließ ich ihre Hand los und setzte mich auf einen Stuhl neben dem Rollbett. Ich versuchte das Bett heranzuziehen, doch es war zu schwer. Ich kramte in meiner Tasche nach einem

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