Wofür du stirbst
ich und lief zum Parkplatz zurück.
»Danke«, sagte er. »Ich bin richtig froh, dass ich Sie getroffen habe.«
Ich versuchte, nicht zu humpeln.
»Alles in Ordnung? Sie humpeln.«
»Alles prima«, sagte ich und biss die Zähne zusammen. »Wirklich, ich habe mir nur ein wenig den Knöchel verletzt.«
»Hier«, sagte er und bot mir seinen Arm.
»Wirklich, es geht mir gut.«
Er zuckte die Achseln. Wie Sie wollen, sollte das wohl heißen. Er steckte seine Hände wieder in die Jackentaschen. Vor mir sah ich den Parkplatz, überall fuhren Autos auf der Suche nach einer Parklücke herum, in die sie schlüpfen konnten, bevor jemand anders es tat.
Ich holte meinen Autoschlüssel, öffnete die Tür und setzte mich auf den Fahrersitz. Im Wagen war es kühl. Ich griff zur Beifahrertür hinüber und stieß sie auf. Außer meiner Mutter hatte bis jetzt noch niemand auf dem Beifahrersitz gesessen.
Ich ließ den Motor an und drehte das Heizgebläse voll auf, denn die Scheiben waren beschlagen.
»Also«, sagte er, »hat Ihnen Andrew Frost erzählt, was mir gestern passiert ist?«
»Nein«, sagte ich. »Was ist denn passiert?«
»Ich habe gestern bei der Arbeit einen Anruf erhalten, kurz bevor ich nach Hause ging. Eine Frau war dran, sie klang irgendwie seltsam – distanziert –, ich weiß auch nicht. Wie dem auch sei, sie hat von einer weiteren Leiche erzählt und mir sogar die Adresse gegeben.«
»Und was haben Sie gemacht?«
»Ich habe es überprüft.«
»Und?«
»Dann habe ich Ihre Einheit angerufen.«
»Wurde jemand gefunden?«
»Ja. Na ja – zuerst bin ich zu dem Haus gefahren, habe durch die Fenster gesehen und dann die Polizei verständigt. Ich war die letzten drei Stunden im Krankenhaus, weil ich an Informationen vom Obduktionsteam kommen wollte, aber leider ist die Person, mit der ich normalerweise spreche, im Urlaub. Also ist die Abteilung momentan unterbesetzt, und niemand von denen ist besonders scharf darauf, mit einem Reporter zu reden … Ich bin also keinen Schritt weitergekommen.«
»Was haben Sie gesehen? Ich meine, was haben Sie durchs Fenster gesehen?«
»Nicht viel. Da war etwas, das wie ein Fuß aussah, der hinter einem Stuhl hervorlugte. Mir kam auch nur deshalb der Gedanke, dass es ein Fuß sein könnte, weil ein Hausschuh daran hing. Es hatte eine komische Farbe. Das Bein, meine ich. Der Hausschuh war – dunkelrot – und hatte eine Art Schneeflockenmuster …«
»Nun«, sagte ich, »Sie sind trotzdem ein hervorragender Zeuge. Ich bin sicher, dass man Sie zur Farbe der Hausschuhe befragen wird.«
Er lachte kurz auf. »Ich habe versucht, nicht auf das Bein zu starren.«
Der Gedanke daran hatte wohl dafür gesorgt, dass ich meine Mundwinkel ein klein wenig nach oben zog, denn Sam sagte: »Sie sollten ein wenig öfter lächeln.«
Meine Miene erstarrte. Ich sollte überhaupt nicht lächeln. Was fiel mir bloß ein? Und was hatte er damit gemeint? Es fühlte sich an, als würde er mit mir flirten, aber sicher war ich mir bei so etwas nie, darum fühlte ich mich unwohl.
Er musste mein Unbehagen bemerkt haben, denn er schwieg. Die Scheibe war jetzt frei, also machte ich die Scheinwerfer an und fuhr rückwärts aus dem Parkplatz.
»Danke, dass Sie mich mitnehmen«, sagte er schließlich. »Mein Wagen ist gerade beim TÜV. Man hatte mir eigentlich einen Mietwagen versprochen, den habe ich aber nicht bekommen. Da ich aber sowieso den ganzen Tag im Büro sitze, fand ich das nicht so schlimm. Ich bin mit dem Taxi hergefahren.«
Ich hörte ihm nicht wirklich zu. Wir standen an der Ampel, und ich wartete, bis ich auf die Hauptstraße Richtung Stadt abbiegen konnte.
»Was ist los?«
»Hm? Nichts?«
»Sie wirken zerstreut.«
»Ich bin einfach nur müde. Ich war die ganze Nacht im Krankenhaus.«
»Klingt ernst.«
»Ja, ich glaube, das ist es auch. Ich will nur kurz nach Hause, um meine Katze zu füttern und mich umzuziehen, dann fahre ich wieder zurück.«
»Tut mir leid, Annabel. Sie müssen sich wirklich nicht die Mühe machen und mich durch die Gegend fahren, ich kann mir auch ein Taxi nehmen …«
»Nein, ist schon in Ordnung. Machen Sie sich keine Gedanken. Es ist nett, jemanden zu haben, mit dem man reden kann.«
»Freunde zu haben ist viel wert«, sagte er. »Ich habe durch den Job ein paar sehr gute Freunde gefunden, wissen Sie – es geht ja nicht nur darum, an eine Geschichte zu kommen, es geht darum, Beziehungen aufzubauen, damit die Menschen einem vertrauen. Menschen werden
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