Wofür du stirbst
zerstreut«, sagte er und legte zu meinem Erstaunen seinen Kopf in die Hände auf dem Tisch. Seine Schultern fingen zu zittern an. Ich sah ihn neugierig an. Ausgerechnet im Red Lion.
»Vaughn«, sagte ich. »Was um Himmels willen ist los mit dir?«
Er schniefte, zog ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, tupfte sich langsam die Augen ab und hustete dann laut Schleim darin ab. Mich schauderte bei dem Anblick, doch ihm schien es zu helfen, denn er fing sich wieder.
»Ich mag Audrey wirklich gerne«, sagte er schließlich.
»Das weiß ich«, sagte ich, obwohl es mir ein Rätsel ist, was sich zwischen Vaughns Ohren abspielt, genau wie mir die Gedanken anderer Menschen ein Rätsel sind. »Sie ist ja auch sehr nett.«
»Ich habe das Gefühl, dass wir uns auseinanderleben. Das ist alles.«
»Vielleicht solltest du den nächsten Schritt machen«, sagte ich und griff dabei auf einen für mich untypischen Ausdruck zurück, den ich in einer dieser schrecklichen Fernsehsendungen gelernt hatte, die ich ab und zu schaute. »Vielleicht solltest du ihr einen Heiratsantrag machen?«
»Wirklich? Meinst du?«
»Warum denn nicht?«, fragte ich.
Ich empfand Vaughns Beziehung in vielerlei Hinsicht als idyllisch – er hatte jemanden mit eigener Wohnung, der ab und zu auftauchte, weil er Gesellschaft brauchte, ein intelligentes Gespräch führen wollte oder, was noch viel wichtiger war, um Sex zu haben. Dann ging er wieder nach Hause und hinterließ alles sauber und ordentlich. Doch letzten Endes schien das offenbar auch nicht erfüllend zu sein, jedenfalls nicht für Vaughn. Er brauchte ganz offensichtlich den emotionalen Rückhalt einer Frau, ganz im Gegensatz zu mir.
Ich hoffte, dass Vaughn mir nun nicht mit einer Reihe von Bedenken kommen würde, denn mit so etwas konnte ich nur schwer umgehen. Doch meine Sorge war unbegründet. Er strahlte über das ganze Gesicht, als hätte er soeben die Erleuchtung erfahren.
»Genau das tue ich«, sagte er. »Ich mach ihr einen Antrag. Natürlich! Wie konnte ich nur so dumm sein?«
»Ich verstehe nicht ganz«, sagte ich. Normalerweise übersehe ich Dummheit nicht, doch in Vaughns Fall gehe ich lieber davon aus, dass er verwirrt war.
»Sie hat so was mal angedeutet«, sagte er eifrig. »Ihre Schwester hat letztes Jahr geheiratet; seitdem reißt sie Witze darüber, dass sie eine alte Jungfer sei und dass es zu spät wäre, sich über so was Gedanken zu machen. Aber vermutlich wollte sie das die ganze Zeit!«
Er trank unhöflich gierig den letzten Schluck seines Pints aus, das ich bezahlt hatte, stand auf und warf sich den Schal um den Hals.
»Wo willst du hin?«
»Einen Ring kaufen, lieber Freund!« Nur Vaughn konnte so was wie »lieber Freund« sagen, ohne dass es aufgeblasen klang. »In einer halben Stunde muss ich wieder bei der Arbeit sein, vorher will ich noch zum Juwelier!«
Die Gaviston-Gesamtschule in der Grove Road. Sie besuchte ich, als ich dreizehn war, sieben Monate vor meinem vierzehnten Geburtstag. Ich begann mich von dem plötzlichen Verlust zu erholen und war nun in eine Phase gekommen, die sich am ehesten mit »mürrisch« bezeichnen lässt. Ich hatte keine Lust, mich mit irgendwem zu treffen, mit jemandem zu reden, mich weiterzubilden oder einer sozialen Aktivität nachzugehen – ich passte also genau in dieses Umfeld.
An meinem dritten Schultag wurde ich von zwei Jungs auf der Toilette in eine Ecke gedrängt.
»Du bist neu«, sagte der eine. Er war blass und trug eine dieser dämlichen Frisuren, die damals modern waren: das Haar an den Seiten kurz rasiert, mausfarben und spitz nach oben gekämmt, dazu einen lächerlichen geflochtenen Rattenschwanz, der ihm den Rücken hinunter hing. Neben ihm stand sein Kumpel, der weniger muskulös, dafür dicker und immer noch mindestens dreißig Zentimeter größer als ich war. Es sollten noch zwei Jahre vergehen, bis ich eine Größe von über einem Meter achtzig erreichte.
»Ja«, sagte ich und bereute bereits, dass ich so viel gesagt hatte – und noch dazu in einem Akzent, der so ganz anders klang als ihrer.
»Woher kommst du«, sagte der andere. War das eine Frage gewesen? So hatte es nicht geklungen, also verspürte ich auch keine Verpflichtung, darauf zu antworten.
Ich wollte gehen, doch sie stellten sich mir in den Weg. Dann sagte der kleinere der beiden zu mir: »Du bist irgendwie komisch. Behindert oder was?« Der Fette schnaubte und kam näher, so nah, dass mir sein Achselgeruch in die Nase stieg.
Ich glaube,
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