Wofür du stirbst
Das Spiel mitspielen.
Doch ich spielte nicht mit.
Am Ende erwartete er mich schon; wenn ich nicht vor der Mittagszeit in sein Büro kam, wunderte er sich, wo ich steckte. Meine Mutter wurde in die Schule gebeten. Man schlug mir vor, die Schule zu wechseln, weil man dachte, dass ich woanders vielleicht besser aufgehoben, ein Neuanfang möglich wäre. Doch meine Mutter starrte nur teilnahmslos vor sich hin, war von irgendwelchen Benzodiazepinen betäubt, die man ihr damals verschrieb, während ich hinter ihr im Büro des Direktors stand und missmutig die Hände in den Taschen vergrub, obwohl ich erst am Vortag für genau dieses Verhalten verdroschen worden war.
»Es ist ihr egal«, sagte ich.
»Friedland«, sagte der Direktor, »du redest nur, wenn deine Mutter es wünscht, ansonsten hältst du den Mund.«
»Es ist mir nicht egal«, sagte sie, auch wenn ihr Tonfall etwas anderes nahelegte. »Ich weiß nur nicht, wie ich es ändern soll.«
Sie schickte mich mit Vaters Geld zur Schule. Sie bekam eine Witwenrente und hatte zusätzlich seine Lebensversicherung ausgezahlt bekommen, war es aber nicht gewöhnt, sich um finanzielle Dinge zu kümmern. Sie hatte noch nie gearbeitet, nie eine Rechnung bezahlen oder sich mit jemandem über etwas anderes als das Abendessen oder den nächsten Urlaub unterhalten müssen.
Kurz darauf entließ uns der Direktor, er war auf eine weitere Wand hinter all den Wänden gestoßen, die ich in den vergangenen Wochen aufgebaut hatte.
Am Ende hatte ich es ihm leichtgemacht. Zwei Tage nach dem Treffen mit meiner Mutter lief ich im Schulflur einem Schüler der Oberstufe über den Weg, der einen Kommentar über meinen Vater und mein Verhalten abgab. Am späten Nachmittag traf ich ihn alleine an, zerrte ihn in ein leeres Klassenzimmer und prügelte so lange auf ihn ein, bis er bewusstlos und blutüberströmt am Boden lag.
Meine Mutter war total damit überfordert, eine Schule für mich zu finden, die gewillt war, mich aufzunehmen. Außerdem brauchte sie das Geld aus Vaters Lebensversicherung für ihren Lebensunterhalt, wie sie mir immer wieder versicherte, denn sie hatte nicht vor, sich einen Job zu suchen.
Also verbrachte ich die verbleibende Schulzeit auf der nächstgelegenen Gesamtschule.
Um die Mittagszeit rief mich Vaughn an und lud mich ins Red Lion ein. Das war das erste Mal, dass wir Kontakt hatten, seit ich bei ihm zum Abendessen gewesen war, obwohl ich mich per SMS bedankt hatte. Vielleicht hatte er sie als sarkastisch empfunden.
Wir saßen mit unseren Pints vor uns da. Im Fernsehen, der gefährlich am Ende der Bar balancierte, liefen die Sportnachrichten auf Sky. Vor einem ständig wechselnden Hintergrund aus Primärfarben erzählte ein Mann im Anzug etwas über Mannschaften, die mich nicht interessierten.
»Wie geht es Audrey?«, fragte ich schließlich.
»Ganz gut, denke ich.«
Ich nahm einen Schluck Bier und überlegte, dass es mir bestimmt besser schmecken würde, wenn ich dazu ein Baguette mit Käse und Pickles aß. Hoffnungsvoll sah ich zum Tresen hinüber, doch die Kellnerin, eine zum Ambiente passende fassförmige Frau in roten Strumpfhosen und schwarzen, wadenhohen Stiefeletten, die an einer so kleinwüchsigen Person etwas besorgniserregend wirkten, war nirgends zu sehen.
»Das Essen war hervorragend«, sagte ich. »Ich habe mich gefreut, mal dein Haus zu sehen.«
So was sagt man eben. Die Leute machen Komplimente, kommentieren Einrichtungen und Häuser, selbst wenn sie sie abscheulich finden. Ich machte da keine Ausnahme.
»Ehrlich gesagt geht es ihr nicht wirklich gut«, sagte er. »Sie ist in letzter Zeit etwas komisch.«
»Wie meinst du das?«, fragte ich.
»Sie wirkt ein wenig – na ja, distanziert. Nach dem Abend.«
»Oh«, sagte ich, denn mir fiel keine bessere Antwort ein.
»Ich habe sie ein paarmal angerufen. Einmal ist sie drangegangen, war aber irgendwie ausweichend. Als ich sie besuchen wollte, war sie nicht da.«
»Vielleicht war sie aus«, sagte ich hilfreich. »Oder mit irgendwas anderem beschäftigt.«
Vaughn schnaubte. »Ich wüsste nicht, mit was.«
»Glaubst du immer noch, dass sie eine Affäre hat?«
Er blickte erschrocken von seinem Pint auf. »Wie kommst du darauf?«
»Na ja, du hast mich erst vor Kurzem danach gefragt. Du wolltest doch mit ihr nach Weston-super-Mare fahren. Weißt du noch?«
»Oh ja, stimmt.«
»Also wirklich, Vaughn«, sagte ich. »Dein Erinnerungsvermögen lässt langsam nach.«
»Ich bin ein wenig
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