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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haynes
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mir irgendwas Weltbewegendes zu erzählen hat.
    Irgendwann werde ich die Oberin, oder wer immer am Telefon ist, anschreien. Ich werde über ihren Mangel an Einfühlungsvermögen herziehen. Die Frau hat mich misshandelt, werde ich schreien. Sie hat mir die Kindheit versaut und dafür gesorgt, dass ich als Erwachsener keine Beziehung zu einer Frau aufbauen kann. Ich will sie nicht sehen. Soll sie doch in ihrem Ohrensessel verrotten …
    Wir wollen doch mal sehen, wann sie dann wieder anruft.
    Während ich gespannt auf die Zeitung warte und überlege, welch exquisite Details sie preisgeben wird, fällt mir ein, dass ich derzeit nur zwei und nicht wie üblich drei Schützlinge habe. Drei sind überschaubar, eine wunderschöne, elegante, ausgewogene Zahl. Wenn einer schließlich geht, finde ich schnell Ersatz. Ich bin inzwischen gut darin, sie zu erkennen, wenn sie vor mir stehen. Leider war ich in letzter Zeit etwas zerstreut und musste mich mit der letzten ein wenig beeilen.
    Also, wohin als Nächstes? Zurück an die Uni? Dort hatte ich ungewöhnlich viele gefunden – ganze drei. Wer hätte gedacht, dass das Foyer einer Universität so viele depressive Menschen anzieht? Die Arztpraxis – auch da habe ich ein paar kennengelernt. Aber der Ort ist riskant … Wenn ich noch einmal dort hingehe, wird man möglicherweise einen Zusammenhang herstellen. Der Supermarkt ist immer gut, dort tummeln sich so viele, dass niemand Verdacht schöpfen wird. Und es gibt noch einen Trick – man muss die richtige Tageszeit wählen: Sie kommen zwischen halb sieben und neun Uhr abends.
    Auch Sie können sie erkennen. Sortieren Sie die erschöpften Eltern aus, die sich in den Laden flüchten, sobald der Partner von der Arbeit zu Hause ist und die Kinder ins Bett bringt. In deren Einkaufswagen liegen Windeln, Babynahrung, Tropfen gegen Koliken. Tabu sind auch Führungskräfte. Die sind zwar meistens Single, aber sie haben gute Jobs, kaufen gutes Fleisch, kleine Packungen mit exotischem Gemüse und Fertigsaucen und tragen noch Anzug und Krawatte.
    Man muss nach denen Ausschau halten, die so aussehen, als hätten sie noch die Kleidung vom Vortag an und hätten darin geschlafen. Die Menschen, die nur am Abend rauskommen, weil sie Menschenmengen nicht ertragen. Sie kaufen nicht tagsüber ein, weil sie Angst davor haben, dass ihnen Babygeschrei das Trommelfell zerreißt und ihnen Tränen in die Augen treibt. Sie kaufen nachts ein, wenn es ruhig und dunkel ist, niemand sie anstarrt oder bemerkt oder eines zweiten Blickes würdigt. Sie laufen wie Schatten durch den Supermarkt, und so fühlen sie sich auch. In ihren Einkaufswagen liegt vorwiegend Tiefkühlkost, weil sie nur einmal die Woche einkaufen. Und sie haben einen Einkaufszettel, da sie nicht noch mal losgehen wollen, wenn sie etwas vergessen haben. Sie stellen nie Augenkontakt her und reden mit niemandem.
    Als ich an den Supermarkt denke, fällt mir wieder die ein, die ich Anfang der Woche gesehen habe. Sie schien mir fast reif zu sein. Vielleicht sollte ich noch mal hingehen und nach ihr Ausschau halten. Katzenfutter – das war ein Problem. Katzen haben die Angewohnheit, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wenn sie nicht gefüttert werden. Hunde sind noch schlimmer, sie bellen, wenn es sein muss. Aber Katzen … Sie sind ein Risiko, und Risiken will ich um jeden Preis vermeiden.
    Da draußen gibt es so viele, die keine Katzen haben. Ich sollte weiter die Augen offen halten.
    Ich muss an einen öffentlichen Ort, an dem sich die traurigen Menschen aufhalten.

 
    Annabel
    Ich hatte keine Ahnung, wie man ein Begräbnis organisiert, doch als ich am Morgen zum Standesamt ging, um Moms Sterbeurkunde abzuholen, drückte man mir eine Liste mit zu erledigenden Dingen und ein Verzeichnis der örtlichen Bestattungsunternehmen in die Hand. Als ich wieder zu Hause war, setzte ich mich mit Block und Stift an den Esstisch und hörte mir nacheinander die verschiedenen Ansagen auf den Anrufbeantwortern der Unternehmen an und wie gerne sie mich zurückrufen würden. Beim dritten Versuch – der Cooperative Funeralcare – ging endlich jemand ans Telefon.
    »Meine Mutter ist tot«, sagte ich gleich zu Beginn.
    Die Frau am Apparat reagierte sehr professionell und äußerst ruhig. Sie sagte, es täte ihr leid, das zu hören, und dass es wohl das Beste wäre, wenn sie bei mir vorbeikämen und alles mit mir durchsprächen.
    Ich sah mich im Chaos um, das im Wohnzimmer herrschte. »Ich würde lieber zu Ihnen

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