Wofür du stirbst
sie waren nicht einmal sonderlich angsteinflößend; jedenfalls hatte ich bestimmt keine Angst vor ihnen. Doch sie waren mir im Weg, und ich hatte keine Lust, weiter in diesem stinkenden, graffitibeschmierten Loch zu stehen.
Ich glaube, mein größter Vorteil ist, dass ich die Leute immer überrasche, weil ich mich schnell bewege, nicht zögere und mir vorher nichts anmerken lasse.
Ich trat dem Fetten in den Schritt, er kippte vornüber, fiel auf den Boden und fing dann für seine Statur viel zu laut und weibisch zu kreischen an. Der kleinere sah mich mit großen Augen an. Er war ungefähr so groß wie ich und hatte sich wahrscheinlich noch nie ohne die Hilfe seines Kumpels geprügelt.
Er machte einen Schritt zurück, um mich vorbeizulassen. Ich wollte auch bloß vorbei, wirklich, doch das fette Arschloch rollte immer noch am Boden herum und heulte, und zum ersten Mal seit Monaten regte sich etwas in mir, ein mir unbekanntes Gefühl. Es fühlte sich gut an. Ich hatte Spaß.
Und es war alles viel zu einfach. Ich packte ihn an den Schultern, drehte ihn um und schleuderte ihn an die Wand. Er rief noch: »Nein, tut mir leid, das war nicht so gemeint, du bist in Ordnung, wirklich, lass mich los«, wobei seine Stimme genau wie die seines Freundes zu einem vorpubertären Gekreische wurde. Als hätten Schrecken und Angst sie entmannt.
Das war alles viel zu verlockend. Ich drückte ihn mit dem ganzen Gewicht meines Körpers an die Wand und schlug mit der Faust zwischen seine Schulterblätter, dann wickelte ich den blöden Rattenschwanz zweimal um meine Hand und riss ihn mit erstaunlich wenig Anstrengung von seinem Kopf – obwohl es vermutlich meine Begeisterung war, die mir die nötige Kraft verlieh. Dann wanden sich beide vor Schmerz, wobei der kleinere immer dann zu kreischen anfing, wenn der andere sich zu einem leisen Gewimmer beruhigt hatte. Einen Augenblick sah ich sie an und überlegte, wie viel Lärm sie machten und ob sie angesichts dessen, was passiert war, nicht etwas übertrieben. Dann blickte ich auf den Rattenschwanz in meiner Hand. Ich hatte ein kleines Stück helle Haut mit ausgerissen. Das andere Ende des Zopfs wurde noch ordentlich von einem Gummiband zusammengehalten.
Der Kleinere hielt sich beide Hände hinter den Kopf, als wäre er wegen irgendwas verhaftet worden, glotzte mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich nicht beschreiben kann, und zog die Augenbrauen zusammen. Tränen kullerten über seine Wangen, und sein Gesicht war feuerrot angelaufen. Er sah mich an, und ich blickte lässig zurück. Blut tropfte durch seine verschränkten Finger, die Fingerknöchel waren weiß vor Anspannung.
Ich schüttelte den dämlichen Rattenschwanz von meiner Hand, und er fiel auf den Boden. »Gute Nacht, Ladys«, sagte ich und ließ sie schluchzend zurück.
Ich wurde eine Woche vom Unterricht suspendiert, aber nicht der Schule verwiesen. Die beiden Jungs waren bekannte Schläger, was ich natürlich nicht gewusst hatte. Ich wurde zum Schulleiter geschickt (männlich, mittleren Alters, homosexuell, förderte liberale Umgangsformen und hoffte so auf Unterstützung des Lehrerkollegiums), der sich beinahe bei mir bedankt hätte. Jedenfalls war er bestimmt nicht sauer.
»Das ist kein angemessenes Verhalten«, sagte er. »Man fügt seinen Mitschülern keine Verletzungen zu; das tut man nicht, oder? Das ist nicht die richtige Entscheidung, oder?«
»Vermutlich nicht«, sagte ich.
»Was haben sie dir getan?«
Ich überlegte, was ich antworten sollte. Ehrlich gesagt hatten sie nicht besonders viel getan. »Sie standen mir im Weg.«
»Haben sie irgendwas zu dir gesagt?«
»Nicht dass ich wüsste.«
»Hattest du Angst vor ihnen? War es das?«
»Ich habe vor niemandem Angst.«
»Sehr gut, Colin. Richtig so.«
»Verprügeln Sie mich jetzt mit dem Stock?«
»Nein«, sagte er. »Darauf möchte ich gerne verzichten. Ich glaube, die Sache tut dir leid, nicht wahr?«
Ich antwortete nicht, denn meine Antwort hätte ihm nicht gefallen, und auf Lügen war ich nicht vorbereitet. Es tat mir weder leid noch schämte ich mich dafür. Genau genommen hatte ich es genossen, dadurch war mein langweiliger Tag ein wenig aufgeheitert worden.
»Nun, wie dem auch sei, du verstehst sicher, dass ich dich vom Unterricht suspendieren muss.«
»Geht in Ordnung«, sagte ich.
»Eine Woche?« Als wäre das eher ein Angebot als eine Feststellung. Wenn ich dir eine Woche gebe, versprichst du mir dann, dass du dich in Zukunft anständig
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